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Mit einer Ausstellung im Internet präsentiert die Österreichische Mediathek eine akustische Chronik aus einem Jahrhundert Geschichte.

Geschichte zum Anhören: Die Österreichische Mediathek im Marchettischlössl in der Gumpendorfer Straße digitalisiert konsequent ihre Bestände von über einer Million Ton- und Videoaufnahmen. Ziel und Aufgabe der Mediathek, die dem Technischen Museum Wien angeschlossen ist, ist nicht nur das Zugänglichmachen der Daten, sondern auch deren Bewahrung. Rainer Hubert von der Mediathek erklärt: "Wir kommen uns manchmal vor wie Drachen, die in ihrer Archivhöhle auf einem Schatz sitzen. Das Material wird zwar benutzt - aber es muss noch besser zugänglich werden!"

Nun konnte ein kleiner Teil der Sammlung im Internet zugänglich gemacht werden: 100 Jahre Österreichische Geschichte kann unter www.akustische-chronik.at nachgehört werden. Von Kaiser Franz Joseph bis zum ZIB-Beitrag im November 2000 über den Seilbahnunfall in Kaprun.

Lebensnahe Geschichte

Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit Oliver Rathkolb vom Ludwig Boltzmann Institut für Europäische Geschichte erstellt. Trotz historischen Unterbaues ist die Präsentation aber alles andere als trocken und lebensfern.

Während manche Ereignisse nur am Rande angerissen sind, räumt die Chronik anderen Themen viel Platz ein, etwa den Propagandaparolen der NS-Zeit: Goebbels' gesamte Rede rund um den Aufschrei "Wollt Ihr den totalen Krieg?" und das Getobe der Menge sind hier zu hören, ebenso wie ein jovial über Stalingrad scherzender Adolf Hitler, dem der österreichische Tonfall noch ganz zu eigen ist. Diese Stimmen bringen eine ganz eigene Qualität und Unmittelbarkeit in die bekannten papierenen Fakten und Zahlen.

Auch an der Art der Tondokumente lässt sich die Zeit ablesen: Während etwa für die dreißiger und vierziger Jahre politische Reden und beliebte Schlager dominieren, die wie "Lili Marleen" Heimat und Krieg romantisieren, gibt es später viele ORF-Rundfunkbeiträge zu hören. Ein besonderes Zuckerl ist dabei der Ausschnitt aus einem Beitrag zum Papstbesuch 1983, bei dem tausende Wiener entlang der Simmeringer Hauptstraße stundenlang auf die Ankunft des Papsts warten. Doch der Heilige Vater lässt sich nicht blicken - und eine besorgte Hausfrau kommentiert: "I hab Angst, dass ich daheim die Gemüsesuppe nicht abgedreht hab, ich hab mich so beeilt zum Papst. Und jetzt denk i ununterbrochen: da kommt der Papst, und dort is mei Suppn …"

Aus den jüngeren Jahren sind leider nicht viele Lieder zu hören, die den Zeitgeist repräsentieren. Das hat rechtliche Gründe, auch Werbesprüche und Filmausschnitte gibt es deswegen nur wenige. Ein Schwerpunkt ist es, die politische Geschichte der Zweiten Republik akustisch nachvollziehbar zu machen. Da wird der Staatsvertrag gefeiert, da toben revolutionäre Studenten 1968 im Hörsaal, da schimpft Bruno Kreisky 1979 auf die Lausbuben, die das Atomkraftwerk Zwentendorf verhindern wollen, da rechtfertigt Fred Sinowatz 1983 seine Koalition mit der FPÖ. Auch kabarettistische Reflexionen kommen zu Wort: Helmut Qualtingers Herr Karl etwa.

"I wer narrisch!"

Die akustischen Erinnerungen der 70er und 80er Jahre gehören für viele zum tatsächlich Erlebten. Natürlich fehlt dabei nicht Edi Fingers hysterischer Anfall beim legendären dritten Tor in der Fußball-WM 1978, Österreichs Sieg über Deutschland: "I wer narrisch!"

Die akustische Chronik verlockt zum Schmökern, Erinnern und Kennenlernen. Im internationalen Vergleich ist sie ein innovatives Projekt. Die BBC sind erst jetzt dabei, ihre Archive zu digitalisieren und zu öffnen. Leider ist die Seite nicht nur benutzerfreundlich. Es braucht ein wenig Übung, um den Balken mit den Jahreszahlen richtig zur Navigation einsetzen zu können. Trotzdem lässt das Nachlesen und Nachhören nicht mehr los.

Die Chronik ist nicht die einzige Webausstellung der Mediathek. Unter www.mediathek.at sind weitere virtuelle Audiotouren (Mozart, Staatsvertrag) zu finden, die mit der Chronik verlinkt sind. Die Ausstellung bleibt dauerhaft im Internet, wird im Laufe der Zeit erweitert, als Archiv aber von außen immer greifbar bleiben.

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