Authentisch (banal)

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These I: Weblogs werden Zeitungen & Co zum Verschwinden bringen. These II: Blogger bedrohen den klassischen Journalismus nicht. magdalena miedl

Bits are In, Atoms are Out": Die lapidare Feststellung des Medienvisionärs Nicholas Negroponte besagt, dass nicht mehr Waren, sondern Daten die Wirtschaft am Laufen halten. Dies bringt die so genannte Informationsgesellschaft auf den Punkt, wenn es auch für große Teile der Weltwirtschaft nach wie vor nicht zutrifft: Noch immer verfrachten Öltanker ihre Last über die Ozeane, werden Weintrauben quer über den Globus transportiert.

Doch eine wesentliche Funktion steht zur Disposition: Vermittler, Pförtner, "Gatekeeper" fallen oft weg. Seit niemand mehr ins Reisebüro gehen muss, um einen Flug zu buchen, in den Plattenladen, um an Musik zu kommen, scheinen Vermittler obsolet. Die Rolle des Plattenverkäufers, der den Geschmack des Kunden kennt, übernehmen Programme, die sich die Vorlieben des Computernutzers merken und dann Produkte vorschlagen, die User mit ähnlichen Vorlieben gekauft haben. So funktioniert die Taktik des Online-Anbieters Amazon erfolgreich. Gratwanderungen sind diese "lernenden" Anwendungen allemal: Für Neues ist wenig Spielraum, wurde einmal eine bestimmte Richtung eingeschlagen.

Basisdemokratie pur

Der beratende Verkäufer ist aber nur ein Aspekt der Vermittlerrolle. Der "Gatekeeper" kann auch Informationen zurückhalten: Staatlich kontrollierte Medien in Diktaturen filtern alles heraus, was dem Regime widerspricht. Hier kann das Internet seine Funktion als basisdemokratisches Medium entfalten: In Weblogs, Online-Tagebüchern mit oft journalistischem Anspruch, schreiben chinesische und iranische Dissidenten das, was sonst nirgendwo stehen darf. Während des Irak-Krieges war der Weblog eines jungen Mannes mit dem Pseudonym Salam Pax eine der wenigen authentischen Informationsquellen aus Bagdad. Auch in diesem Sommer waren die Weblogs ganz normaler Leute aus Tel Aviv, Gaza und Beirut eine wesentliche Informationsquelle.

Jedermann kann auf einfache Weise berichten, wie es in seiner Straße aussieht, wo Bomben einschlagen, wie die Versorgungslage wirklich ist. Das ist eine nie da gewesene Chance für Authentizität, die den klassischen großen Medien oft verloren gegangen ist. "In zehn Jahren sind Zeitungen ein Anachronismus" prophezeit Garrett Graff, der als erster Blogger-Journalist im Weißen Haus akkreditiert wurde.

Doch wo nicht gerade Krisengebiet ist, wird das, was authentisch ist, oft nebensächlich: Da schreibt einer über den Pickel auf seiner Unterlippe, und philosophiert im nächsten Atemzug über das Wesen von Weblogs an sich. Der da schreibt, ist Horst Prillinger von der Universität Wien, Bibliothekar und profilierter Blog-Experte ( www.aardvark.at/blog/). Prillinger hat der Euphorie seines amerikanischen Kollegen einiges entgegenzusetzen. Anders als Graff sieht er in den Webloggern keine Bedrohung für den klassischen Journalismus. Weblogs können zwar höchst demokratische Massenmedien sein, doch in vielen Online-Tagebüchern dreht sich alles nur um den Nabel des Schreibers und seine Privatinteressen. Das kann, wenn gut geschrieben, eine große Fangemeinde anziehen. Die meisten Blogs haben aber lediglich Freunde und Familie des Autors als Publikum.

Die Filterfunktion der Journalisten ist womöglich sogar noch wichtiger geworden: Aus dem gigantischen Strom an Fakten filtern sie im besten Falle die Daten heraus, die für ihre Leser, Seher oder Hörer relevant sind, und machen somit verwertbare Information daraus. Ein ungefilterter Zugang zu Daten mag demokratisch sein, ist aber schlicht nicht bewältigbar.

Ergänzung, nicht Ersatz

Ein Aspekt, den auch die klassischen Medien immer weniger vernachlässigen können, ist die Interaktivität. Was an Weblogs so reizvoll ist - die Möglichkeit des Kommentierens, des Verlinkens, des sich Einmischens - ist auch Teil des großen Erfolgs von Österreichs wichtigster Online-Zeitung, der Online-Version des Standard. Eine rege Gemeinschaft an Lesern schreibt hier Kommentare zu Artikeln, kritisiert, ätzt und lobt: Hier läuft der Informationsfluss nicht nur in eine Richtung. "Alle Information ist stärker, wenn sie Teil einer Konversation ist", bringt Garrett Graff es auf den Punkt.

Interaktivität bietet weitere Chancen: Es ist möglich, dem Geschmack des Publikums entgegenzukommen. So geschehen bei der US-TV-Serie "The West Wing", deren Produzent immer wieder auf die Anmerkungen und Kritikpunkte der Online-Diskussionen einer Fangemeinde zurückgreift. Die Neuen Medien sind in ihrer Flexibilität kein Ersatz, sondern eine Ergänzung klassischer Medien.

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