Bekenntnis zur Hoffnung

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DIE REISE NACH KANDAHAR / Safarè Ghandehar

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DIE REISE NACH KANDAHAR / Safarè Ghandehar

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Die Journalistin Nafas reist durch die kargen Landschaften Afghanistans, um ihre Schwester in Kandahar zu besuchen und sie von ihrem angekündigten Selbstmord abzubringen. Sie wird mit Leid und Unterdrückung durch das Taliban-Regime in der Bevölkerung konfrontiert, insbesondere mit dem rechtlosen Dasein der iranischen Frauen und dem Albtraum der Landminen, die für Tod und Verstümmlung sorgen. Kein Flüchtlingsmelodram, letztlich auch kein Dokumentarfilm im üblichen Sinn, sondern ein Filmkunstwerk, dessen Bilder Abbilder der Realität sind, aber auch Sinnbilder menschlicher Existenz. Man wandert, aber die Landschaft ändert sich kaum, der Gang wirkt wie Stillstand, man sieht keinen Fortschritt, nur Standpunkte, einen Zustand. Gibt es noch Hoffnung auf Freiheit? Ist ein solches Leben überhaupt noch lebenswert? Der iranische Regisseur Makhmalbaf antwortet darauf mit einem Bekenntnis zur Hoffnung, die sich im Menschen regt und die - vordergründig betrachtet - nicht zu begründen ist. Ein Meisterwerk, empfehlenswert ab 12.

Moshen Makhmalbaf (geboren 1957 in Teheran), zur Schah-Zeit einige Jahre als politischer Häftling im Gefängnis, wandte sich zur Zeit der iranischen Revolution dem Theater und der Literatur zu und drehte ab 1980, ohne eine spezielle Ausbildung genossen zu haben, zahlreiche Filme, von denen einige zwar der Zensur zum Opfer fielen, doch insgesamt das kinofreudige iranische Publikum sehr ansprachen. In den neunziger Jahren wurde Makhmalbaf über Festivals in Europa bekannt. In Österreich lief 1999 sein Film "Gabbeh" aus dem Jahr 1995/96, der durch einfache, aber eindringliche Erzählweise sowie seine einzigartig schöne Bildsprache bestach.

Der Streifen " Die Reise nach Kandahar" lief im Frühjahr 2001 in Cannes, lange bevor die Ereignisse im Gefolge des 11. September Afghanistan in die Schagzeilen brachten und die beklagenswerten Lebensbedingungen in diesem Land dadurch am Rande bekannter wurden. Sein Eintreten für mehr Menschenrechte der Frauen in seiner Heimat wurde zwar zwiespältig aufgenommen, sein Engagement für afghanische Frauen jedoch von der UNESCO durch die Verleihung der Fellini-Medaille in Gold hervorgehoben. Obendrein hat ihm in Cannes die Internationale Ökumenische Jury ihren Preis verliehen. Neben seiner hoch gelobten cineastischen Qualität ist dieser Film nämlich wegen der Benennung eines weltweit bestehenden gesellschaftlichen Defizits im Bereich der Gleichberechtigung von Männern und Frauen von unschätzbar hoher Bedeutung.

Der Bürgerkrieg, der die Lebensgrundlagen beinahe völlig zerstört hat, hinterließ Landminen, verletzte Männer, Kriegerwitwen und viele Kinder, von denen unter den Taliban nur ausgewählte Knaben gefördert wurden, denen in den Koran-Schulen das Rezitieren von Suren und das Kriegshandwerk beigebracht wurden. Dazu kommen Raubüberfälle auf offener Karawanenstraße. Ob ein Leben unter diesen Umständen denn noch lebenswert sei, bei dem vor allem die Burkha die Frau wie in einem Gefängnis hält und diese nur als Sklavin, als Besitz eines Mannes Existenzberechtigung hat, fragt sich die Schwester einer nach Kanada emigrierten Journalistin; in einem Brief kündigt sie ihr an, dass sie sich in Kandahar das Leben nehmen werde. Die Journalistin versucht nun Kandahar zu erreichen, um der Schwester Mut und Hoffnung zum Weiterleben zu geben.

Diese und andere authentische Schicksale hat Makhmalbaf zu einer Art Reisetagebuch verbunden. In einigen Szenen wird verdichtet die derzeitige Lage der afghanischen Gesellschaft(en), besonders die der Frauen, ins Bild gesetzt und im Wort die Überlebenschance einer alten Kultur auf Spuren der Hoffnung hin reflektiert. Die nach Kanada ausgewanderte Journalistin Niloufar Pazira spielt in dem Film die Journalistin Nafas, die ihrer jüngeren Schwester zu Hilfe eilt. Zuerst wird sie an eine Großfamilie vermittelt - viele Frauen und wenige Männer -, die aus dem Iran nach Afghanistan zurückkehren will. Als dritte Frau eines alten Mannes getarnt, kommt sie aber nicht weit, denn eine Räuberbande beraubt die Frauen, und der Mann kehrt mit ihnen in das Exil in den Iran zurück. Nafas besticht einen Jungen mit Dollars, sie nach Kandahar zu bringen, der aber verschwindet nach kurzer Zeit. Ein als "Arzt" tätiger Mann bringt sie in seinem Auto in die Nähe der "heiligen Stadt", die er nicht betreten will, weil er dort aus dem Gefängnis geflohen ist. Nafas spricht ihre Eindrücke und Gedanken auf Tonband, um ihrer Schwester Argumente für ein Weiterleben liefern zu können, doch bei einer Kontrolle durch die Taliban endet ihre Reise. Nach der ersten Kontrolle müssen einige der Frauen zurückbleiben, bei einer hat man ein Buch gefunden, und sie hat den Rat nicht befolgt, ihr Tonbandgerät wegzuwerfen...

Der Film ist nicht schwierig, aber schwer; kein Tourismusfilm mit schönen Bildern, aber auch kein Flüchtlingsmelodram, letztlich auch kein Dokumentarfilm im üblichen Sinn, sondern ein Filmkunstwerk, dessen Bilder Abbilder der Realität sind aber auch Sinnbilder menschlicher Existenz. Die Karawane der Frauen zieht durch die Wüste, begleitet von der Sonne als größtem "Feind", eingeengt in Blick und Atmung durch die Burkha, die sie wie ein Kerker umschließt und die sie nie verlassen dürfen. Man wandert, aber die Landschaft ändert sich kaum, der Gang wirkt wie Stillstand, man sieht keinen Fortschritt, nur Standpunkte, einen Zustand. Gibt es noch Hoffnung auf Freiheit? Ist ein solches Leben überhaupt noch lebenswert? Makhmalbaf antwortet darauf mit einem Bekenntnis zur Hoffnung, die sich im Menschen regt und die - vordergründig betrachtet - nicht zu begründen ist.

Mögen Cineasten auch grübeln, ob der "Geist der Wüste" von Pasolini inspiriert ist oder ob auch Makhmalbaf angesichts einer gewaltigen Naturlandschaft eine ähnliche Vision hatte wie der geniale Italiener vor ihm - der Zuschauer, der sich eingelassen hat in die Welt der Bilder wird im Film spirituellen Qualitäten begegnen, wie sie in anderen Fällen nicht vorzufinden sind. Ein Film letztlich nicht nur für Cineasten, von der Thematik her Kindern ab etwa 8 nur in Begleitung anzuraten, ab etwa 12 aber allgemein zu empfehlen.

Iran/Frankreich 2001 - Produktion: Moshen Makhmalbaf House (Iran) / Bac Films (F) - Produzent: Moshen Makhmalbaf - Verleih: Polyfilm - Länge: 85 Min. - Regie: Moshen Makhmalbaf - Buch: Moshen Makhmalbaf - Kamera: Ebraham Ghafouri - Schnitt: Moshen Makhmalbaf - Musik: Mohamad Reza Darvishi - Darsteller: Niloufar Pazira, Hassan Tantai - Prädikat: besonders wertvoll

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