Berichten oder nicht

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Nicht erst seit dem Irakkrieg ist der Krisenjournalismus in Diskussion.

Brennende Autos, verwundete Passanten, vermummte Jugendliche, die sich Straßenschlachten mit der Polizei liefern - Bilder, wie sie nicht erst seit den gewalttätigen Ausschreitungen aus den Pariser Vororten grassieren. Doch auch dieser Konflikt verdeutlicht ein Dilemma, in dem sich die Medien befinden: Wer ist Opfer, wer Täter? Welcher Seite nützt die Berichterstattung über die Gewalt? Sind Medien Friedensstifter bei Konflikten oder gar heimliche Kumpanen von Krieg und Krisen?

Fragen, die anlässlich der vom Publizistikinstitut der Wiener Universität veranstalteten Tagung "Opfer in den Medien - Opfer der Medien?" von prominenten Experten aus Wissenschaft und Journalismus diskutiert wurden. Das unbefriedigende Fazit: "Es gibt keine einfachen Antworten, weil die Wirklichkeit viel zu komplex ist." (Medienwissenschafter Roland Burkart).

Medien parteiisch?

Also alles umsonst? - Nicht ganz, denn eines zeigt sich ganz deutlich: der mediale Einfluss auf Kriegs- und Krisensituationen wird immer größer - aus distanzierten Beobachtern sind aktive Teilnehmer geworden. "Der Selbstmörder als Cruise Missile des armen Mannes funktioniert nur dann, wenn auch jemand da ist, der über ihn berichtet", charakterisiert der deutsche Politologe Herfried Münkler die neuen Herausforderungen an den modernen Krisen-Journalismus. Bisher habe man Kriege als bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Staaten und Blöcken, also zwischen gleichwertigen Akteuren, begriffen. Diese Vorstellung wurde aber nicht zuletzt aufgrund des "internationalen Dschihad-Terrorismus" obsolet - einschließlich der bisherigen Rolle der Medien in Krisenzeiten. "Mit der Asymmetrierung von Kriegsereignissen hat sich auch die potenziell neutrale Position des Berichterstatters verändert", konstatiert Münkler. Durch die neue Form des Krieges sei eine Unterscheidung von Kombattanten und Non-Kombattanten, Tätern und Opfern kaum mehr möglich, so sein Befund. Die Medien würden daher zunehmend Gefahr laufen, in ihrer Berichterstattung Partei für den technologisch Unterlegenen zu ergreifen - zu Komplizen des vermeintlich Schwächeren werden. Münkler: "Im Kampf David gegen Goliath ist David für die Medien immer sympathischer. Die heutigen Terror-Netzwerke wissen das und missbrauchen die Medien als ihre Waffe."

Wie aber sollen die Medien auf diese neue Herausforderung reagieren? Einfach nicht mehr über Terror und Gewalt berichten?

Nicht schweigen!

"Nein, auf keinen Fall", warnte bei der Wiener Tagung der Osloer Friedensforscher Johan Galtung, "Schweigen ist keine Lösung." Der Träger des alternativen Nobelpreises mahnt vor allem eine größere Ausgewogenheit und Konfliktlösungs-Orientierung in der Berichterstattung ein. "Journalisten sind Menschen, die so lange schlafen, bis die erste Bombe explodiert, erst dann fliegen sie hin und berichten darüber. Explodiert nichts mehr, fliegen sie wieder nach Hause", kritisiert der streitbare Professor. Er fordert, dass die Medien in Krisenzeiten nicht nur die "Sportfrage" nach dem "Gewinner" stellen: "Nur von Rauch zu berichten genügt nicht, wir müssen nach den Ursachen suchen." Galtungs Ansatz: Die Wurzeln von Konflikten sichtbar machen und bereits im Vorfeld von Terror und Gewalt nach Lösungen suchen. Für die Zukunft des europäischen Krisen-Journalismus wünsche er sich vor allem eines: "Journalisten sollten lernen, auch kritische Fragen zu stellen - es gibt keine Heiligen Kühe."

Empirische Befunde

Präsentiert wurden bei der Tagung auch die Ergebnisse einer Forschungs-Studie des Wiener Publizistik-Instituts zum Thema "Kriegs- und Krisenjournalismus". Ausgangspunkt der zweijährigen Forschungsarbeit waren die Probleme des Journalismus bei internationalen Krisensituationen. Untersucht wurde dabei die Berichterstattung zum Irak-Krieg 2003, der Umgang von Journalisten mit internationalen Kriegs- und Krisenereignissen und die Nutzung und Wirkung von Katastrophenberichten auf die Medienkonsumenten. Ein Fazit der Studie: Das Informationsbedürfnis der Konsumenten wird in Krisensituationen nicht nur größer, es verlagert sich auch: Herr und Frau Österreicher vertrauen lieber dem gedruckten Wort, als bunten Fernsehbildern. "In Krisenzeiten scheinen sich die Mediennutzer nicht mehr an dem Motto, es wird gelogen wie gedruckt, zu orientieren", meint der Co-Autor der Studie, Jürgen Grimm.

INFOS: www.krisenjournalismus.at

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