"Big Brother" - und kein Ende

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Big Brother & Co - Synonyme für die Spaßgesellschaft.Hier ein Überblick, was sich die Programm-Macher noch alles ausgedacht haben.

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Big Brother & Co - Synonyme für die Spaßgesellschaft.Hier ein Überblick, was sich die Programm-Macher noch alles ausgedacht haben.

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Der Höhepunkt ist noch lange nicht überschritten." Conrad Heberling, Pressesprecher des privaten deutschen Fernsehsenders RTL2 weiß, wovon er spricht: War es doch sein Sender, der den Stein des Reality-TV mit der Erstausstrahlung der Real-Life-Soap "Big Brother" ins Rollen brachte. Genau wie in Holland, wo Big Brother erfunden wurde, hat die Sendung in Deutschland und Österreich einen wahren Boom ausgelöst. Aus dem rollenden Stein ist längst ein ganzer Steinschlag geworden. Big Brother & Co sind zum Synonym der Spaßgesellschaft geworden.

Das Rezept der Reality-Shows ist einfach: Man nehme eine beliebige Anzahl Menschen, sperre sie irgendwo ein, richte ein mehrfaches Dutzend Kameras auf sie und lasse die Leute vor dem Fernseher mehr als 100 Tage zusehen. Und voila! Man erntet 100 Tage Hauptabendprogramm mit ausnehmend guten Quoten und das alles für einen vergleichsweise lächerlichen Preis.

Von Holland aus hat sich die Reality-Lawine mittlerweile über ganz Europa mit Ausläufern in die USA ergossen. In mittlerweile 25 Ländern, darunter Großbritannien, Spanien, Italien und der Schweiz lief die Show.

Wogende Bettdecken Interessant dabei waren lediglich die landestypischen Variationen, die sich am Thema Fortpflanzung besonders deutlich zeigten. Waren die britischen Big-Brother-Insassen in Sachen Sex (trotz einer angeblichen Sexprämie in der Höhe von immerhin einer Million Schilling) erwartungsgemäß prüde, fanden sich bei den heißblütigen Spaniern gleich mehrere Pärchen. Auch die Italiener entsprachen dem Südländer-Klischee: Schon am fünften Tag wogten die Bettdecken.

Mittlerweile sind auch die anderen TV-Sender auf den Geschmack und warfen die Kopiermaschine an. So kommt im kommenden Jahr ein ganzer Schwall an Reality Formaten über das Publikum: Allein auf RTL2 hat man gleich fünf neue Shows auf Lager. Neben der dritten Staffel von Big Brother (Frühjahr 2001) kommen mit "11¡Ost", "Der Bus" und "Der Club" drei neue Formate. In "11¡Ost" müssen zehn Teilnehmer in 17 Tagen die Alpen überqueren, wobei sie nur mit dem Notwendigsten ausgestattet sind. Jeden zweiten Tag wird ein Mitstreiter zurückgelassen. "Die Gegner sind die Natur und sie selbst", sagt RTL2-Sprecher Heberling.

In "Der Club-Es werde Licht" müssen sieben Frauen und sechs Männer innerhalb von 13 Wochen eine heruntergekommene Location in Berlin in einen florierenden In-Club verwandeln, wobei sie von der Planung über die Gestaltung, der Werbung bis zum Bedienen alles selbst erledigen müssen. Die Neo-Gastronomen sind in einer Wohngemeinschaft über dem Geschäft kaserniert. Jede Woche muss einer gehen.

Auch SAT1 setzt im kommenden Jahr voll auf Reality: Schon im Jänner werden bei "Girls Camp" zehn hübsche Mädchen auf einem Inselparadies eingesperrt. Jede Woche dürfen sie sich "einen Kerl bestellen" (so SAT1-Sprecher Dieter Zurstraszen), der sich via Internet bewirbt. Dieser soll eines der Mädchen zur Abreise bewegen. Die Beliebteste gewinnt am Ende 100.000 Euro.

Bei "Diät Duell" sollen zehn dicke Deutsche coram publico abnehmen - und werden dabei prompt durch überbordende Buffets in Versuchung geführt. Der Sieger kriegt sein abgenommenes Gewicht in Gold aufgewogen. Für die zweite Jahreshälfte hat sich SAT1 vom ORF die Serie "Taxi Orange" eingekauft.

Höchst umstritten ist die auf RTL2 geplante Show "Der Bus" (ab Mai 2001), die bei ihrer Premiere in Holland für veritable Skandale sorgte. Dabei touren die Kandidaten in einem Bus durch die Lande und müssen in jeder Stadt ihr Geld mit Arbeit verdienen. In Holland musste "Der Bus" mehrfach Städte fluchtartig verlassen, nach dem randalierende Jugendliche versucht hatten, das Gefährt zu stürmen. Durch die vermehrte räumliche Enge im Bus ist das Format auch wesentlich härter als etwa Big Brother.

Jetzt wird's kritisch Allein die Ankündigung, dass "Der Bus" in Deutschland stoppen soll, ruft, wie beim Start von Big Brother, die Medienwächter auf den Plan. Wolfgang Thaenert, Chef der für RTL2 zuständigen Hessischen Landesmedienanstalt, hat schon vor dem Start von Big Brother im März dieses Jahres versucht, die Show zu kippen. "Der Bus ist für mich eine kritische Grenze", meint Thaenert jetzt. Es sei für ihn nicht klar, inwieweit die Kandidaten noch Herr ihrer eigenen Entscheidungen seien und sich nicht in Notlagen begeben, die sie nicht mehr steuern können. "Und haben die Kandidaten noch Einfluss auf das Bild, das sie in der Öffentlichkeit abgeben?", fragt sich der Medienwächter. Daher will Thaenert auch bei "Der Bus" die Notbremse ziehen: "Wir werden uns das Format genau ansehen und eventuell Aufsichtsmaßnahmen verhängen." Als Maßnahmen kommen Auflagen zur Entschärfung oder sogar ein Verbot in Frage. Dafür benötigt Thaenert aber die Mehrheit der 15 lokalen deutschen Medienbehörden. Dass er die bekommt, steht für ihn fest: "Ich glaube, dass diese Entscheidung mehrheitsfähig ist."

Dennoch: Die Quoten scheinen den TV-Sendern Recht zu geben. Allein bei der ersten Staffel von Big Brother waren in Spitzenzeiten knapp 500.000 Österreicher dabei und das, obwohl man RTL2 nur über Satellit oder Kabel sehen kann. Bei "Taxi Orange" waren zuletzt bei der Entscheidungssendung satte 852.000 ORF-Zuschauer dabei - immerhin 54 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe der 14- bis 29-Jährigen.

Ganz anders sehen Medienwissenschafter den Boom. So etwa der Medienpädagoge Peter Willnauer: "Ein Spaß ist das sicher. Die Frage ist nur: Wer amüsiert sich da auf wessen Kosten?" Als Grund für den Erfolg sieht er das "Urbedürfnis der Menschen, anderen zuzuschauen. Bei den Kandidaten ist es der Drang, im Mittelpunkt stehen zu wollen".

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