MAGDALENE SISTERS (THE) - Still - © Constantin

"Die unbarmherzigen Schwestern": Bigottes Haus

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Dünnhäutige Glaubenswächter qualifizierten Peter Mullans "Die unbarmherzigen Schwestern" als "antikatholisch". Tatsächlich ist der Film über die irischen Magdalenen-Heime für "gefallene Mädchen" bitter aktuell.

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Dünnhäutige Glaubenswächter qualifizierten Peter Mullans "Die unbarmherzigen Schwestern" als "antikatholisch". Tatsächlich ist der Film über die irischen Magdalenen-Heime für "gefallene Mädchen" bitter aktuell.

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Peter Mullans, auf wahren Begebenheiten beruhender Spielfilm "Die unbarmherzigen Schwestern" wurde im November mit dem "Goldenen Löwen" der Filmfestspiele von Venedig ausgezeichnet. Besorgtkatholische Kreise sahen in dieser Tatsache eine antikatholische Provokation. In der Tageszeitung La Repubblica verglich Valerio Riva, Verwaltungsrat der Biennale Venedig, Mullans Film gar mit den Propagandawerken der Leni Riefenstahl: Mullan, so wütete Riva, halte die Katholiken für schlimmer als die Taliban. Auch der Osservatore Romano stand da nicht zurück; ein Pater Padruno qualifizierte den Film dort als "schlecht gelungene Karikatur".

Nun kommen die "Unbarmherzigen Schwestern" auch hierzulande ins Kino, und man kann sehen, wie sehr geschilderte Reaktionen der Grundlage entbehren: Mullan erzählt genau, bestimmt, hart - aber nie und nimmer gehässig - die Geschichte "gefallener" Mädchen, die im Irland der sechziger Jahre in ein Heim der Magdalenen-Schwestern gebracht werden und in der angeschlossenen Wäscherei arbeiten müssen.

Ein dunkles Kirchenkapitel gewiss, das erst 1996, als das letzte Magdalenen-Heim geschlossen wurde, beendet war: Über 30.000 Frauen waren seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in den Heimen kaserniert, eingesperrt - oft genug lebenslang. Mullan hat drei Lebensgeschichten für den Film inszeniert; glaubt man früheren Berichten: bei weitem nicht die schlimmsten Vorkommnisse in den vorgeblich frommen Häusern.

Die drei Schicksale sind 1964, in der Emanzipationszeit europäischer Gesellschaften angesiedelt - ganz typisch, dass auf dem Schreibtisch der strengen Schwester Oberin ein Bild von Präsident Kennedy steht, der Symbolfigur der irischen Katholiken jener Zeit: Zum ersten Mal hatte es "einer der ihren" an die absolute Spitze geschafft. Doch der Aufbruch, der mit Kennedy und seiner Ära einherging, drang mitnichten hinter die Klostermauern.

Margaret, die eine Protagonistin (Anne-Marie Duff) wird von ihrem Kusin bei einer Hochzeitsfeier vergewaltigt - was dem Missbraucher passiert, bleibt im Dunkeln, Margaret aber wird als in Schande gefallenes Mädchen ins Heim geschickt.

Das zweite Schicksal ist das des Waisenmädchens Bernadette (Nora-Jane Noone): Sie muss in die Magdalenen-Wäscherei, weil sie ständig mit den jungen Arbeitern der nahen Fabrik flirtet.

Und die dritte im Bunde ist überhaupt "der Sünde" verfallen: Rose (Dorothy Duffy), mit einem unehelichen Kind niedergekommen, muss ihr Kind zur Adoption freigeben und landet dann ebenfalls bei den Schwestern.

Die drei jungen Frauen treffen im Magdalenen-Heim auf Leidensgenossinnen und auf Schwestern, die ein eisernes Regiment führen: Mit Beten und Arbeiten sollen sie die drohende Verdammnis abwenden. Rose wird von Schwester Bridget, der Oberin (Geraldine McEwan), sogar der Name genommen, sie heißt fortan Patricia, weil es im Heim schon eine andere Rose gibt.

Alle Mädchen sind fortwährend Demütigungen ausgesetzt: körperlicher Züchtigung, seelischer Grausamkeit, sexuellem Missbrauch durch Pater Fitroy, den Priester des Klosters. Margaret, Bernadette und Rose haben nur den Wunsch, dieser Hölle zu entkommen.

Aller wehleidigen Kritik zum Trotz: Peter Mullan ist es mitnichten um Schwarz-Weiß-Malerei zu tun. Vielmehr gelingt es dem Film, das mehrschichtige Beziehungs- und Machtgeflecht, in dem sowohl die Schwestern wie die Heiminsassinnen gefangen sind, zu illustrieren: Die Misshandelten erscheinen nicht automatisch als die "Guten", sondern sie werden auch ins System verstrickt, und die Schwestern sind nicht nur böse Herrscherinnen. Und über all dem schwebt bittere Aktualität: Durch die katholischen Missbrauchsskandale kamen während der letzten Monate schier ungeheuerliche Vorkommnisse ans Licht (auch und gerade in Irland): Angesichts dieser Ereignisse scheinen die Schilderungen in "Die unbarmherzigen Schwestern" leider nicht unglaubwürdig.

Man darf erinnern, vor gar nicht langer Zeit hat der Papst selbst seiner Kirche die "Reinigung des Gedächtnisses" verordnet. Auch in diesem Sinn ist Peter Mullans Film ein wichtiger Beitrag: Die Bigotterie einer Gesellschaft aufzuzeigen ist ebenso wichtig, wie den bis heute weitgehend stummen Opfern dieses Systems eine Stimme zu geben.

Dass dies mit authentischen Schauspielerinnen und einem spannenden Plot gelang, nützt diesem Anliegen ungemein.

Der Film sage nicht die Wahrheit über die Kirche: So wird Kardinal Ersilio Tonini, Alterzbischof von Ravenna, nach der Vorführung der "Unbarmherzigen Schwestern" in Venedig zitiert. Ein fundamentales Missverständnis: Mullans Werk gibt keine Sekunde lang vor, "die Wahrheit" über die Kirche zu berichten.

Wohl aber legt der Film den Finger in eine offene Wunde der katholischen Kirche, die es - in verschiedenen Ländern in unterschiedlicher Ausprägung - zu heilen gilt: In diesem Sinn wünscht man dem Film gerade Kardinäle, Bischöfe, Oberinnen und sonstige Kirchenverantwortliche als Zuschauer.

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