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Mel Gibson und Ulrich Seidl zeigen, wie man filmisch ins Wahrheitspathos verfallen kann. Eine Nachbetrachtung zu den beiden aktuellen Jesusfilmen.

Zwei Filme, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Mel Gibsons "The Passion of The Christ" zeigt blutige Details der Hinrichtung des Jesus von Nazareth, mit sichtbarem Großaufwand an Technik, Maske und Kostüm. "Jesus, Du weißt" hingegen, der jüngste Film des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl, arbeitet mit kunstvoll reduzierten Mitteln. Eine starre Kamera, die auf das Allerwesentlichste reduzierte Gestaltung und symmetrieverliebte Bilder verleihen ihm seine charakteristische Ästhetik. Menschen beten zu Jesus. Das ist alles. Dennoch haben die beiden Filme mehr gemeinsam als das Jesus-Thema: ein Wahrheitspathos, das zu Denken gibt und letztlich uneinholbar bleibt.

Jesus-Filme wie "Die letzte Versuchung" von Martin Scorsese oder "Das 1. Evangelium - Matthäus" von Pier Paolo Pasolini machen ihre Quellen deutlich. Gibson aber will die ganze Wahrheit. Er sucht das Ereignis hinter den Quellen. "The Passion", die Passion schlechthin.

Was die Bibel nicht erwähnt, holt er sich zum Beispiel aus den Privatoffenbarungen der Anna Katharina Emmerich. Aber während Clemens Brentano im Vorwort zum Emmerich-Buch über "Das bittere Leiden unseres Herrn Jesus Christus" deutlich macht, dass die Beschreibungen der Seherin fromme Betrachtungen seien und keinen Wahrheitsanspruch erheben könnten, fehlt eine solche Relativierung in der Darstellung Gibsons gänzlich. "It's solid", sagt er im ORF-Interview, und meint damit: "Auf die Historizität ist Verlass." Es könnte so gewesen sein.

Nun passiert aber, was immer passiert, wenn man sich angesichts der Erhabenheit einer Wahrheit jeglicher Reflexion über das Medium, in dem sie vermittelt wird, entziehen will. Eine Enthüllung anderer Art geschieht: Das Medium offenbart seine Grenzen. Statt der ungeschminkten Wahrheit über die Kreuzigung drängt sich sozusagen die Schminke in den Vordergrund. Auf das in Massen spritzende Theaterblut reagieren die Zuschauer, wie sie bei ähnlichen Produkten des blutrünstigen Genres auch reagieren: mit Abscheu oder Langeweile, je nach Tagesverfassung. Fromme Erregung bringen nur diejenigen zustande, die dazu von vornherein eisern entschlossen sind.

Blut und Schminke spielen in dem preisgekrönten Film von Ulrich Seidl keine Rolle. Als einen der letzten Tabubrüche hat man sein Werk über betende Menschen bezeichnet. Auch er sucht das pure Ereignis. Aber ungeschminkt ist auch seine Wahrheit nicht. So berührend die ausgewählten Protagonisten ihre Anliegen ihrem Jesus auch schildern mögen: In jeder Phase erzählen sie ihre Geschichte auch dem Zuschauer, nicht nur Jesus - und das, obwohl Seidl, sie ermutigt, eine Grenze zu übersteigen und zu beten wie immer. Die Kamera verändert notgedrungen die Situation. Das eigentliche Gebet deutet sich allenfalls in stillen, hörenden Passagen an - und bleibt dem Beobachter letztlich entzogen wie die historische Kreuzigung. In der hoch artifiziellen Authentizität, zu der Seidls Regie die Darsteller führt, bleiben Fragen nach dem Verhältnis von Dokumentation und Fiktion, nach Realität und Inszenierung, nach Wahrheit und Behauptung nicht aus. Dass gleich zu Beginn der besondere Segen Jesu für den Film erfleht wird, enthebt ihn dieser Fragen nicht.

Mel Gibson erzählt, er habe den Entschluss zu seinem Passions-Film in einer schweren persönlichen Krise gefasst. Fragen nach dem Sinn des Lebens trieben ihn, sich mit Jesus und seinem Leiden intensiv auseinander zu setzen. Leider gerät ihm im Ausgriff auf die große "Wahrheit" die Darstellung der Juden zum Klischee, was ihm den Vorwurf des Antisemitismus einbrachte.

Auf eigenartige Weise nimmt Ulrich Seidl Gibsons Film, den er eigentlich gar nicht schätzt, genau an diesem Punkt in Schutz. Ob er die Gefahr sähe, dass "The Passion" den Antisemitismus schüren könne, wird er im Standard gefragt. Seine Antwort: "Das ist mir egal. Ich finde, es geht um die Wahrheit und nicht darum, was etwas bewirkt." Und beklagt dann die "Tatsache", dass es nach dem Holocaust ein Problem sei, "gegen Jüdisches überhaupt etwas zu sagen."

Es geht um die Wahrheit und nicht darum, was sie bewirkt? Bei allem Verständnis für die Sehnsucht nach letzter Wahrheit und Authentizität in einer komplexen Welt: Wenn sie auf Kosten anderer gepredigt werden, ist in einer Zeit blühender Fundamentalismen Skepsis dringend angeraten.

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Fernsehen.

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