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Indien hat - in Europa bislang kaum bemerkt - die größte Filmindustrie der Welt. Doch nun erobert das Kino des Subkontinents die britischen Inseln.

Curry habe längst das englische Frühstück als typischste aller britischen Speisen überholt, meinte einmal eine Kommentatorin, und der britische Außenminister Robin Cook hat seinerseits Chicken tikka masala (eine Art Hühnercurry) zum britischen Nationalgericht erklärt. Doch mit den kulinarischen Genüssen aus dem Subkontinent wollen sich die Inselbewohner nicht mehr begnügen. Indien ist omnipräsent in diesem Londoner Sommer, akustisch, visuell und in der Kleidung. Indien - oder, genauer gesagt, die in seiner Handels- und Finanzmetropole Mumbai/Bombay angesiedelte größte Filmindustrie der Welt - Bollywood.

"Nirgendwo auf der Welt wird Kino so zelebriert wie in Bollywood", betont Shekhar Kapur, Regisseur des mehrfach preisgekrönten Streifens "Elizabeth". Starschauspieler Shah Rukh Khan versichert, dass ein Inder lieber hungert, um sich mit seinen letzten Rupien noch einen Film ansehen zu können, während die aus England gebürtige ethnisch-indische Schauspielerin und Autorin Meera Syal schwärmt: "Die Filme sind visuell umwerfend, ein technisches Wunderwerk ... und dann diese Musik und dieser Tanz!" Wer in den in der Regel mehrere Stunden dauernden "Masala"-Filmen - einer überschäumenden Mischung aus Romanze, Drama, Komödie, Slapstick und MTV-artiger Inszenierung mit obligatorischer Liebesgeschichte und Schurken - nur eskapistische Fantasien wahrnehmen will, dem hält Syal entgegen, dass durchaus auch soziale Themen darin behandelt würden, aber ohne, dass dies den Showwert mindere. "Und dafür braucht es wahres Genie."

Der Musicalkönig beißt an

Mit Andrew Lloyd Webber ist nun einer der prominentesten britischen Kunstschaffenden dem Charme von Bollywood erlegen. Die Melodie aus einem im britischen Channel 4 ausgestrahlten Bollywood-Film habe ihn nicht mehr losgelassen, erzählt er, er beschaffte sich die Kassetten und nahm Kontakt mit dem Komponisten A. R. Rahman auf. Die beiden verstanden einander so gut, dass Lloyd Webber beschloss, Rahman die Musik für sein neuestes Musical schreiben zu lassen und Syal um das Drehbuch zu bitten. Ende Juni ist das Werk "Bombay Dreams" nun in London angelaufen, eine opulente und farbenprächtige Show über einen jungen Mann aus den Slums, der durch Zufall einen Filmmogul kennenlernt, ein Engagement erhält, zum Star aufsteigt und sich in die Tochter des Mogulen verliebt. Armut - rund die Hälfte der etwa 16 Millionen Einwohner Mumbais leben in Slums -, Korruption, die Gier der Immobilienmafia, Kriminalität, der Glanz und die verbrecherischen Abgründe Bollywoods sind zu einer schillernden Geschichte verwoben, in der auch ein Eunuch nicht in zentraler Rolle fehlen darf.

Noch ist es zu früh zu sagen, ob dem Musical der von Lloyd Webber mit Sicherheit erwartete durchschlagende Erfolg wird beschieden sein, Bollywood aber hat in jedem Fall seinen festen Platz im britischen Kulturgeschehen erobert, betont Syal. Ein Blick auf das aktuelle und jüngere Programm bestätigt sie. Im renommierten Victoria and Albert Museum V&A werden derzeit in der Ausstellung "Cinema India. The Art of Bollywood" Poster indischer Filmklassiker gezeigt. Wenn diese heute immer häufiger mit modernen Drucktechniken erzeugt werden, so sind doch jene Künstlerfamilien noch nicht ausgestorben, die die zumeist riesigen Plakate über Jahrzehnte hin händisch malten. Um diese Kunst zu illustrieren, werden im V&A auch einige Poster mit traditionellen Methoden live hergestellt.

In einem acht Monate dauernden Festival zeigt das Britische Filminstitut derweil landesweit an mehr als 50 Orten südasiatische Streifen. Mehr als ein Dutzend Londoner Lichtspielhäuser haben zumindest einen der neuesten Bollywoodfilme im Programm. Wer sich besser in die Bollywood-Musik einhören will, deren Songs die indischen Popcharts füllen und das asiatische MTV beherrschen, ist mit dem jüngst herausgegebenen Doppelalbum "The Very Best Bollywood Songs" gut bedient. Bereits im Mai rief die Supermarktkette Selfridges in ihren Läden in London und Manchester Bollywood-Wochen aus. Wenn dann noch Premiersgattin Cherie Blair zu einer Ehrung von Meera Syal in eleganter indischer Kleidung auftritt - und (pseudo-) indische Klamotten generell in sind, bis hin zu T-Shirts mit indischen Götterfiguren - dann ist es wohl unvermeidbar, dass Kommentatoren von einer "Bollymanie" sprechen.

Indischer Film boomt

"Bollywood-Film", sagt Meera Syal, "ist ein Genre, das seine eigenen Exzesse zelebriert."

Nicht alle von (ethnischen) Inderinnen und Indern produzierten und derzeit in Britannien erfolgreichen Streifen fallen freilich strikt in die Bollywood- oder Masala-Kategorie. Mira Nair mit ihrem "Monsoon Wedding" oder Gurinder Chadha mit "Bend it Like Beckham" - ein Streifen über eine in England aufgewachsene indische Teenagerin, die statt kochen zu lernen lieber Fußball spielt - gehören einer neuen Generation von Regisseuren an, die sich realistischeren Filmen mit lebensnaheren Geschichten und einer mehr dem Alltag entliehenen Sprache verschreiben. Aber wenn - wie vorigen Dezember geschehen - ein Bollywoodfilm (Kabhi Khushi Kabhie Gham, kurz "K3G" genannt) auf Platz drei der britischen Hitcharts aufrückt, dann steht fest: Mit der Zelluloidsucht der "Desis" (wie ethnische Inder ihre Landsleute nennen) lässt sich solch ein Erfolg nicht mehr erklären. Selbst die unterkühlten Briten schaffen offenkundig, was ein indischer Schauspieler einmal empfahl: "Man muss sich einem Bollywoodstreifen hingeben und ganz von den Sinnen und Emotionen leiten lassen."

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