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Die deutschen Boulevardzeitungen kämpfen mit stark sinkenden Auflagen. Boulevardjournalismus an sich ist aber im Vormarsch.

Für Boulevard-Journalisten ist Deutschland ein Paradies mit unzähligen Arbeitsmöglichkeiten. Wochenblätter wie Gala, Vanity Fair oder Bunte bilden die Hochglanz-Klammer um ein großes Angebot an effekthascherischer Tagespresse - von der übergroßen Bild bis zu lokal verankerten Blättern wie dem Kölner Express, der Münchener Abendzeitung oder den Berliner Blättern B.Z. und Berliner Kurier. Sie alle frönen dem Sensationsjournalismus und sind dabei wenig zimperlich. Die B.Z. titelte dieser Tage neben einem Phantombild: "Das ist die Schulweg-Bestie" und wies darauf hin, dass der gesuchte Verbrecher "einen kleinen Mund mit verkniffenen Lippen" habe. Boulevard in Reinkultur, wie es ihn in Österreich (noch) nicht gibt: Drastisch, lautstark, provokant.

Die Branche kann gar nicht anders, denn es gibt Probleme: Das Internet ist für gedruckte Boulevard-Zeitungen zur ernsthaften Konkurrenz geworden, weil es schneller und umfassender (mit Bild, Text, Ton und Film) auf aktuelle Ereignisse reagieren kann. Das Fernsehen liefert dazu ebenfalls aktuellere Bilder als die Zeitung.

Bild: Minus eine Million

Die Folge: Der Spiegel recherchierte in einer seiner letzten Ausgaben, dass die Auflagen der großen Boulevard-Blätter in den letzten Jahren dramatisch in den Keller gerasselt sind: So habe besagte B.Z. seit dem Jahr 2000 insgesamt 31,3 Prozent an Auflage verloren, der Kölner Express 30,5 Prozent, der Berliner Kurier 23,6 Prozent und die Bild 22 Prozent. In Zahlen: Bild musste einen Auflagenrückgang von 4,3 Mio. Exemplaren im Jahr 2000 auf nur mehr 3,3 Millionen im Jahr 2007 hinnehmen.

Da nutzen auch verzweifelte Neuansätze nichts: Erst diese Woche erschien erstmals ein neuer Boulevard-Titel in Deutschland. OK! will nach Angaben von Chefredakteur Klaus Dahm "Deutschland glamouröser machen" und glaubt, eine Marktlücke gefunden zu haben: "Wir wollen die Stars wie Stars behandeln und nicht niedermachen", so Dahm. Das Blatt nützt Synergien der britischen Mutter: OK! erscheint seit 1996 in England, und mittlerweile in 14 weiteren Ländern. Star-Geschichten lassen sich da sehr leicht weiterreichen. Während die Tagespresse mit sinkenden Auflagen kämpft, sei der People-Sektor bei den Zeitschriften noch wachstumsfähig. Dahm: "Deutschland hat im Vergleich zu England oder Amerika einen Nachholbedarf im Bereich der Celebrity-Magazine."

Die Krise am Tageszeitungsmarkt findet gleichzeitig mit einem wahren Boulevard-Boom statt. Denn der Sensationsjournalismus hält auch immer mehr Einzug in bisher seriöse Medien - sogar die Süddeutsche Zeitung oder die Zeit brächten nach Ansicht des Spiegel vermehrt boulevardeske Inhalte: "Die Boulevardisierung des Journalismus hat auf breiter Front so sehr zugenommen, dass es eine eigene Unterabteilung Boulevard womöglich gar nicht mehr braucht", heißt es da. In der Tat berichten etliche Journalisten von Qualitätsmedien von einer "Verwässerung des journalistischen Ansatzes" in Zeitung, TV und Radio. Ein kurzer Rundruf unter Kollegen förderte ein einstimmige Meinung zutage: "Der Boulevard ist heute überall."

"Exklusivität" beim Spiegel

Davor ist im Übrigen auch der Spiegel nicht gefeit, der diesen Verfall des Journalismus anprangert: Erst vergangene Woche haben die beiden neuen Chefredakteure Georg Mascolo und Mathias Müller von Blumencron, die dem gefeuerten Stefan Aust nachfolgen, die neue Marschrichtung für das Blatt vorgegeben: Die Zeitschrift soll "mehr exklusive Nachrichten, nicht mehr nur schön geschriebene Reportagen" beinhalten, wie der Berliner Tagesspiegel berichtet. "Exklusiv" ist ein Wort, mit dem der Boulevard die meisten seiner Geschichten verkauft. Ganz nebenbei soll auch die Verzahnung des Spiegel mit seiner Online-Version vorangetrieben werden. Ein Indiz, dass man die Schlacht um die "Exklusivität" von Inhalten nicht den anderen überlassen will.

In Österreich ist die Ausgangslage am Boulevard-Sektor ein wenig anders: Während in Deutschland Boulevard-Medien genau wie Qualitätszeitungen nur für Geld am Kiosk erhältlich sind, ist es hierzulande einfach, die Sensationsgeschichten vom Boulevard gratis zu konsumieren. Das Gratis-Blatt Heute aus der Wiener U-Bahn ist ein Beispiel, wie man dem Internet Konkurrenz machen kann. Zumindest was die unentgeltliche Nutzung der Informationen angeht. In Deutschland wiederum gibt es bis zum heutigen Tage keine einzige Gratis-Tageszeitung. Dieser Trend ging dort (mit wenigen Ausnahmen) spurlos an der Branche vorüber.

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