Commissario, pack zu!

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Donna Leons neunter Brunetti: An den Abgründen vorbei.

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Donna Leons neunter Brunetti: An den Abgründen vorbei.

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Die Amerikanerin liebt Venedig. Sie hat den scharfen Blick der Zugereisten. Sieht, was Einheimischen nicht mehr auffällt. Die kleinen und großen Zeichen des Verfalls, denen die Stadt viel von ihrem morbiden Charme verdankt, solang die alten Palazzi nicht einstürzen. Dies aber tun sie bekanntlich nicht, dank der speziellen, elastisch gelenkigen venezianischen Bauweise. Die Zeichen des Verfalls, die Donna Leon in Italiens Gesellschaft erkennt, bereiten ihr mehr Sorge. Über Italiens Korruption spricht sie immer öfter in Interviews, und sie rückt immer mehr ins Zentrum ihrer Romane.

"Feine Freunde" heißt der jüngste. Auch im neunten Fall wirft der Commissario tief in den weichen, nachgiebigen Untergrund eines Systems, in dem jede Hand jede wäscht. Auch diesmal wartet der Brunetti-Fan darauf, dass es zum Knall kommt, zur frontalen Kollision des Kommissars mit der Korruption. Er wartet ein weiteres Mal vergeblich. Dafür wird er wieder einmal mit Spannung entschädigt, diesmal sogar besonders reichlich. Und immerhin dreht die Krimi-Meisterin ihre ewige Geschichte um einen Zahn weiter.

Diesmal streckt die Korruption auch nach dem Kommissar einen Finger aus. Es bleibt ihm nicht erspart, im Händchen-wascht-Händchen-Spiel mitzumischen, ein wenig nur, Fingerchen wäscht Fingerchen. Ein erfolgreicher Kommissar hat so seine Beziehungen. Zu den Skandalreportern und so. Ohne die wäre er kein erfolgreicher Kommissar. Und wenn sein widerlicher Chef in der Patsche sitzt, kann er ihn ja nicht drin sitzen lassen. Da muss er schon ein Fingerchen rühren. Hinterher hat halt auch bei ihm jemand eine Gefälligkeit gut.

Den Gedanken, Italiens Korruption könnte, neben allen hässlichen Auswirkungen, auch eine ähnliche Funktion haben wie die Gelenke und elastischen Zonen, die Venedigs Palazzi allen Erdbewegungen trotzen lassen, muss sich der Leser verkneifen.

Für sich selbst verzichtet Brunetti ein weiteres Mal auf die Gefälligkeiten, die er vom mächtigen Schwiegerpapa leicht bekommen könnte. Dabei könnte er sie diesmal wirklich brauchen. Denn er erfährt gleich am Beginn, dass seine schöne Wohnung mit der herrlichen Aussicht zwar in Wirklichkeit, aber nicht auf dem Papier existiert. Und das ist schlecht. Leider hat er einen Kaufvertrag mit einer so plumpen Fußangel unterschrieben, dass sich der Leser nur wundern kann. Über den Kommissar. Oder über Donna Leon. Wo Brunetti doch ein Jurist ist. Aber Traumwohnungen mit Traumaussichten setzen selbst den Verstand gelernter Juristen außer Gefecht. Da hat die Autorin ja recht. Das ist geradezu Realismus in Reinkultur.

Wie immer sind die Handlungsstränge souverän verflochten. Wie immer wird der Leser raffiniert auf falsche Fährten gesetzt. Doch es hilft alles nix, ein weiteres Mal schrammt die Story an Donna Leons erzähltechnischen Leitplanken entlang, haarscharf an den Abgründen der Gesellschaft vorbei. Die Beinahe-Kollision mit der Korruption im städtischen Katasteramt mündet in einer privaten Tragödie. Die ist allerdings wunderschön gestrickt. Und auch die Leichen sind wieder einmal besonders schön schaurig.

Bloß: Wenn Commissario Brunetti in seinem zehnten, elften und zwölften Fall so weitermacht, werden wir ihn eines Tages noch als alten Herrn erleben, der in alle Abgründe geblickt hat und in keinen hineingefallen ist. Und auf seinem Pensionistenbankerl über die Schlechtigkeit der Welt räsonniert. Aber wahrscheinlich spürt das Donna Leon sowieso. Vielleicht schreibt sie schon am ersehnten, unausweichlichen, brutalen, doch hoffentlich weder letalen noch finalen Zusammenprall Brunettis mit den Hintermännern.

Feine Freunde. Commissario Brunettis neunter Fall Roman von Donna Leo, Diogenes Verlag, Zürich 2001, 334 Seiten, Ln., öS 291/e 21,15

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