Computer-Chaos zur Jahrtausendwende

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Werden am 1. Jänner 2000 viele Rechner ihren Dienst aufkündigen, weil die Computer-Pioniere einst unbedacht mit Speicherplatz geizten?

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Werden am 1. Jänner 2000 viele Rechner ihren Dienst aufkündigen, weil die Computer-Pioniere einst unbedacht mit Speicherplatz geizten?

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Erdgeschichtlich wird im Jahr 2000 kein besonderes Ereignis stattfinden. Die Erde beginnt nicht die 2000. Umrundung der Sonne, sondern eine von Milliarden. Trotzdem haben die Weltuntergangspropheten wieder Hochsaison, und sie bekommen noch Unterstützung aus der Computerecke. Werden am 1. Jänner 2000 viele Rechner ihren Dienst aufkündigen? Jedenfalls prophezeien namhafte Beratungsunternehmen für die ersten Tage des neuen Jahrtausends Störungen in der Stromversorgung, in der Warenverteilung und in der Funktion der Krankenhäuser.

Daß die Computer in den Augen mancher am 1. 1. 2000 einen Weltuntergang verursachen könnten, liegt an einem Relikt aus der Pionierzeit der Computertechnik. Damals war Speicherplatz knapp, daher wurden Datumsangaben mit nur sechs Stellen gespeichert, statt mit acht: So wurde etwa der 1. April 1962 als 620401 und nicht als 19620401 im Computer dargestellt. Dies wurde zum Teil bis in die neunziger Jahre beibehalten. Denn solange sich alle Daten im gleichen Jahrhundert befinden, kann man damit korrekt rechnen. Daten können chronologisch geordnet, die Zeit zwischen zwei Daten berechnet werden und so fort. Bei zwei Daten aus verschiedenen Jahrhunderten wird es jedoch zweideutig. Die im Computer gespeicherte Zahlenfolge 010203 kann den 3. Februar 1901 - oder den 3. Februar 2001 bedeuten. Das Computerprogramm geht wie gewohnt von der Annahme aus, daß es sich um den 3. Februar 1901 handelt und trifft daher, sobald Daten aus den kommenden Jahrhundert auftreten, eine Fehlentscheidung. Um diese Fehlentscheidung zu berichtigen, muß das Datum mit acht Stellen gespeichert werden.

Akute Probleme Je nach Alter der Programme verursacht das verschieden viel Aufwand. Kenner der vor 25 Jahren üblichen Assemblersprachen haben heute viel zu tun, um alte File-Systeme umzubauen, in die der Computer sozusagen blind greift. Wenn in den dort verwendeten Daten zwei Stellen für das Jahrhundert dazukommen, müssen auch alle darauf zugreifenden Programme angepaßt werden.

Geht es um Daten, die in einer Datenbank gespeichert wurden, so sind diese unabhängig von Programmen, und die Korrektur ist einfacher. Aber immer noch müssen alle Programme, die Datumsrechenoperationen durchführen, kontrolliert werden, ob das Jahrhundert korrekt miteinbezogen wird.

Bleibt noch die Sorge, ob alle zeitgerecht fertig werden. Projekte neigen im allgemeinen dazu, länger zu dauern als geplant. Den 1. 1. 2000 kann man leider nicht verschieben.

Aber das Problem ist in vielen Firmen schon lange akut. Langfristige Aufträge, Ablaufdaten und Planungen reichen heute schon ins kommende Jahrtausend und haben die Firmen gezwungen, ihre Programme und Datenbestände zu korrigieren.

Schon 1986 ist eine Lokomotivfabrik auf das Jahr-2000-Problem (amerikanisch kaltschnäuzig "Y2K" genannt) gestoßen. Nach jeder Lieferung einer Lok speicherte ihr Computer einen Vermerk, in 15 Jahren Ersatzteile zu liefern. 1986 plötzlich erfolgten derartige Lieferungen um 14 Jahre und 11 Monate zu früh, da ein anderes Programm die Lieferung per 01/00 als seit 86 Jahren überfällig einstufte.

Medikamente entsorgt Auch erzählt man von einem Pharmaunternehmen, das abgelaufene Medikamente per Computer aus ihrem Lager automatisch entfernt. Als die ersten Chargen mit dem Ablaufdatum Jan/00 gelagert waren, wurden sie umgehend als altes Zeug vernichtet. All diese Fehler sind längst behoben, und daraus schöpfe ich den Optimismus, daß ein Großteil der Programme auch im Jahr 2000 ihre Aufgabe erfüllen wird.

Ist damit das Problem abgehakt? Noch lange nicht. Bei vielen Geräten denken wir gar nicht daran, daß für ihre Funktion auch ein kleiner Computer und ein Programm notwendig ist. Auch das BIOS (Basisbetriebssystem) jedes Personal Computers verarbeitet das Datum. Ist der Computer älter, so kann es sein, daß er sich ab dem 1. 1. 2000 nicht mehr korrekt starten läßt. Für diese Programme gibt es Updates, das heißt überarbeitete Versionen, nur wird sie Ihnen niemand anbieten, Sie müssen sich schon selbst darum kümmern. Hier liegt es bei jedem, der einen Computer betreibt, von dem Wichtiges abhängt, ihn entweder auf den letzten Stand zu bringen oder durch einen zu ersetzen, der mit Sicherheit Jahr-2000-fähig ist.

Und wie sieht es mit ihrer Digitaluhr und mit Ihrem Videorecorder aus? Sie haben schon recht, es wird ihr Leben nicht gefährden, wenn der erste Ton der Pummerin im kommenden Jahrtausend nicht richtig auf Videoband aufgezeichnet wird. Aber wenn man bei so einfachen Geräten nicht sicher ist, dann verstehe ich einige Fluggesellschaften, die planen, daß alle ihre Flugzeuge, in denen sich jeweils einige hundert Computer befinden, um Null Uhr Weltzeit des neuen Jahrtausends am Boden stehen bleiben.

Für Beratungsunternehmen mit umfassenden Checklisten und für Kenner alter Programmiersprachen herrscht bereits Hochsaison. Auch die Juristen haben das Problem entdeckt und sind derzeit bemüht, im vorhinein zu klären, wer für etwaig entstehende Schäden haftet. Mögen also die Schwarzseher insofern ihr Ziel erreichen, daß die anstehende Aufgabe rechtzeitig erkannt und bearbeitet wird. Dann wird es zwar einige Probleme und Verzögerungen auslösen, aber die große Katastrophe wird ausbleiben.

Die gute Nachricht am Schluß ist, daß alle Computer und Programme, die diese Hürde geschafft haben, für weitere 7.999 Jahre kein Datumsproblem haben werden, und das scheint mir fürs erste ausreichend zu sein.

Der Autor ist Leiter der Abteilung Information Services in der Kapsch AG sowie Präsident von Common Österreich, einer großen Vereinigung von PC-Benutzern.

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