Confettiland am Rosenhügel

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Wieviel und welches Kinderprogramm muß ein öffentlich-rechtlicher Sender anbieten? Überlegungen für die jüngsten Seher - zu Beginn der Ära Weis.

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Wieviel und welches Kinderprogramm muß ein öffentlich-rechtlicher Sender anbieten? Überlegungen für die jüngsten Seher - zu Beginn der Ära Weis.

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Am 5. Oktober 1998, 75 Jahre nachdem die Rosenhügel-Ateliers mit einem rauschenden Fest eröffnet worden sind, wird die Wiener Traumfabrik wieder einmal reaktiviert. An diesem Tag wird "Confetti-TiVi", das Kinderprogramm des öffentlich-rechtlichen ORF, erstmals aus den Rosenhügel-Studios kommen. Produzent ist dann die Firma ACT Media TV-Service, durch deren Tätigkeit sich der ORF über die Jahre an die 500 Millionen Schilling ersparen will. Zugleich soll in den Studios rund um den Confetti-Clan eine Erlebniswelt a la Warner Brothers geschaffen werden, wo es dann wahrscheinlich das ganze Jahr hindurch Club-Aktivitäten geben wird. Die Erlebnisgesellschaft läßt grüßen.

Im Prinzip wäre gegen solche Aktivitäten nichts einzuwenden - solange das Programmangebot stimmt. Derzeit ist allerdings noch nichts von neuen Sendungsformen bekannt, nur daß die bekannten Eigenproduktionen wie "Samstag Spiel", "Mimis Villa Schnattermund", "Die heiße Spur", der "Kasperl", "Kids for Kids" und die "Confetti Show" eben in der Filmstadt Wien in eigenen Studios produziert werden.

Niemand weiß, wie weit dabei das Konzept eines eigenen Kinderkanals verfolgt wird. Möglich erscheint es durchaus, betrachtet man die internationale Entwicklung im Kinderfernsehen. Dem österreichischen Beobachter stellt sich nur die Frage, ob es hierzulande einen potenten Partner gibt, der dieses Konzept mittragen will (Gerüchte jedenfalls erhalten ihre Nahrung aus der Zusammenarbeit von Thomas Brezina und Ravensburger, ehedem Partner des Ende Mai eingestellten deutschen Kinderkanals "Nickelodeon").

Stoff für derartige Spekulationen liefert auch die Technologiediskussion. Mit der auch vom ORF heftig verfolgten Digitalisierung wird eine Vervielfältigung der Kanäle möglich. Da "Confetti-TiVi" schon länger als Spartenprogramm geführt wird, das auch durch ein eigenes Logo gekennzeichnet ist, wäre es durchaus denkbar, im Zusammenhang mit der Auslagerung und der Errichtung fester Studios einen weitergehenden Ausbau zumindest nicht zu verhindern.

Aufgaben des Öffentlich-rechtlichen Natürlich soll hier nichts herbeigeredet werden, die Situation kann aber dazu benutzt werden, um sich mit der Zukunft des Kinderfernsehens innerhalb einer öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt auseinanderzusetzen.

Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt in einer immer partieller, unübersichtlicher und komplexer werdenen Medienlandschaft eine unverzichtbare Rolle zu, und auch die EU bekennt sich dazu, unter bestimmten Voraussetzungen die Privillegierung der Finanzierung durch Gebühren und Werbegelder zu akzeptieren.

Um aber diese bevorzugte Stellung im Umfeld des kommerziellen Wettbewerbs zu rechtfertigen, müssen dem ORF in einem neuen Gesetz konkrete Aufgaben übertragen werden. Im besonderen auch solche, die von privaten Anbietern nicht leistbar sind, weil sie entweder zu teuer, zu risikobehaftet oder zu wenig lukrativ sind. Umgekehrt dürfen jedoch auch die kommenden privaten Anbieter nicht von allen öffentlichen Aufgaben befreit sein. So muß in jedem Fall, bezogen auf Kinder, auch von den künftigen Privaten die Berücksichtigung dieser Zielgruppe mit einigen Kriterien eingefordert werden. Dies kann aber nur dann legitimerweise erfolgen, wenn innerhalb des öffentlich-rechtlichen Aufgabenbereichs das vom allgemeinen Quotendruck befreite und auf Qualität verpflichtete Kinder- und Jugendangebot weitgehend abgesichert ist.

Dahinter steht die Erkenntnis, daß nur dann auch in Zukunft ein Publikum für ein qualitativ hochwertiges und anspruchsvolles öffentlich-rechtliches Angebot vorhanden sein wird, wenn n es als Publikum von klein auf ernstgenommen und mit anspruchsvollem Angebot konfrontiert wird, * Kindersendungen für unterschiedliche Altersgruppen angeboten werden, * die Sendungen den Kindern Erlebnisse und Erfahrungen ermöglichen, * Orientierungshilfe bieten, sowie * zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen.

Der designierte Generalintendant Gerhard Weis hat sich sowohl zum Ausbau der öffentlich-rechtlichen Aufgaben als auch zu vermehrtem Österreichbezug bekannt. Diese Aussagen werden selbstverständlich auch im Kinderprogramm zu überprüfen sein.

Bei den Funktionen, die in einer Resolution des EU-Parlaments für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk festgelegt werden, werden * eine Bandbreite von Qualitätsprogrammen in allen Genres für die gesamte Bevölkerung des jeweiligen Landes, * das Setzen von Qualitätsstandards in populären Produktionen, * die Entwicklung innovativer Programme, * die Talenteförderung, * Bildungsprogramme und * verantwortungsvolle Kinder- und Jugendprogramme gefordert sowie * die wichtige Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für den Erhalt der Demokratie und als Forum aller Gruppen betont.

Was ist Qualität im Kinderprogramm? Man könnte sagen, ein von Inhalt, Form und Plazierung her auf die Bedürfnisse, Erwartungen und Ansprüche der kindlichen Zuseher abgestimmtes Angebot, das den professionellen Qualitätsansprüchen der Fernsehproduktion entspricht. Die Inhalte sollen stimmig, unterhaltend, stimulierend sein, zum Nachdenken anregen, die Kreativität der Kinder fördern, die reale Welt reflektieren, Kinder in ihrer Situation respektieren und ihnen Lernerfahrungen vermitteln.

Unterhaltung ist nicht alles Die über die Unterhaltung hinausgehenden Kriterien werden zunehmend wichtig, auch wenn es die Programm-Macher derzeit nicht wahrhaben wollen. Bloße Unterhaltung reicht den Kindern schon längst nicht mehr. Zunehmend werden neben Fast Food auch Inhalte gefordert - nicht nur weil Eltern immer besser gebildet sind und mehr erwarten, sondern von den Kindern selbst. Über die neuen Medien, über Multimedia, Internet und insbesondere CD-Roms, gibt es einen Markt von Qualitätsprodukten, bei denen Interaktivität auch kein Schlagwort mehr bleibt.

Anspruchsvollere Kinder Kinder werden durch den Konsum von Erwachsenenprodukten - vor allem von Spielfilmen und Dokumentationen - anspruchsvoller. Da es ja inzwischen schon eine breite Palette qualitativ hochwertiger Produkte - wenn auch nicht für Kinder und die Fragen der Kinder behandelnd - gibt, kann es als Herausforderung für das Kinderfernsehen gelten, hier mit besserem Programmangebot zu punkten.

Kinder suchen immer mehr "Edutaiment" - wissenschaftliche, ökologische, geographische und historische Inhalte, ansprechend (nicht anbiedernd) verpackt. Die Produktion solcher Angebote kostet auch Geld. Es gilt daher, auf europäischer Ebene mehr zu koproduzieren, will man einen gewissen Standard erreichen und auch eine internationale Verbreitung ermöglichen.

Der Schlüssel zur Qualität im Kinderfernsehen ist, immer wieder neue Wege zu finden, um Kinder einzuladen, Dinge zu sehen, die sie nie zuvor gesehen haben, Dinge zu hören, die sie nie gehört haben und sich Dinge vorzustellen, über die sie nie nachgedacht hätten, ohne Anregung durch das Fernsehen (Gerry Lesser, Harvard Universität).

Dieser wunderbaren Aufgabe müßte sich verantwortungsvolles Kinderprogramm stellen. Dabei sollte das Potential der neuen Technologien genutzt werden, um im Interesse der Kinder das bestmögliche Programm - auch mit interaktiver Unterstützung via Internet - zu machen.

Im Jänner 1999 wird in den USA der erste Bildungskanal für Kinder von 2 bis 14 Jahren in Kabelnetzen und via Satellit starten. Der Sender hat große Ambitionen. Man will Kinder über die Welt, in der sie leben, informieren, damit sie sich in ihrer Welt zurechtfinden. Es soll den Kindern das Gefühl vermittelt werden, daß es toll ist, klug zu sein. Die nächste Generation soll stolz sein auf ihre Intelligenz. Children's Television Workshop und Nickelodeon gehen hier eine Partnerschaft ein, um eine elternfreundliche und nichtkommerzielle Plattform für Kinder zu schaffen.

USA: Nicht nur Lippenbekennntnisse Das Umfeld für diese Errichtung stimmt: Eltern, Erzieher, Anwälte und Beamte wollen Erziehung als nationale Priorität behandeln. Zu lange gab es bloß Lippenbekenntnisse. Nun wollen diese beiden innovativen, aber mit je unterschiedlichem Hintergrund und Erfahrungen ausgestatteten Lobbygroups im Sinne der Konvergenz von Computer und Fernsehen diesen Schritt für Kinder wagen. Wir können gespannt sein, was hier auf dem amerikanischen Kindermediensektor praktisch umgesetzt wird, während in Europa die Beamten über Richtlinien brüten.

In Europa und insbesondere in Österreich wird man sich überlegen müssen, welche Kindermedienkultur gefördert und entwickelt werden soll. Die Entwicklung der Kindermedienkultur spiegelt die nationalen Prioritäten. Gerade im Kinderfernsehen wird der Boden für die zukünftige Medienlandsschaft bereitet - entweder in Richtung Kommerzialisierung, Emotionalisierung oder in Richtung Anspruch. Der deutsche "Kinderkanal" war eine - wenngleich nicht sehr glückliche - medienpolitisch sehr unterstützte Entscheidung. Zu bedauern ist, daß dadurch das Kinderangebot aus dem täglichen Vollprogramm der ARD und des ZDF verschwunden ist. Aber es ist eine Entscheidung für eine spezielle Berücksichtigung kindlicher Ansprüche.

In Österreich hat man sich bislang für die kommerzielle, marketingorientierte Variante entschieden. Heute, viereinhalb Jahre nach Einführung von "Confetti-TiVi" ist dieses als Markenzeichen etabliert. "Confetti-TiVi" wird entsprechend vermarktet, und seine Aktivitäten sind darauf abgestimmt, die Zielgruppe möglichst breit gestreut abzudecken und finanzkräftige Partner einzubinden. Spezielle Interessen - seien es Vorschulangebote, Tier- und Naturfilme, Wissenschaftssendungen, Realspielserien, etc. - werden nicht oder nur sehr unzureichend berücksichtigt.

Die Autorin ist Kommunikationswissenschaftlerin und Medienpädagogin in Wien.

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