Das digitale Vergessen

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Die kurze Lebensdauer der kaum mehr analog produzierten Daten fordert öffentliche wie wirtschaftliche Institutionen heraus.

Selbst Schüler kennen das Problem: Man soll 2000 Jahre alte Texte übersetzen, aber die 100-mal jüngere Version der Tante lässt sich nicht mehr öffnen, die Sicherungskopie ist auf einer 5,25-Zoll-Diskette und der Ausdruck wie die Erinnerung an ihren Aufbewahrungsort dahin. Vielleicht ist es die natürliche Auslese jeder Kultur, dass nur das Beste erhalten bleiben kann. Doch Gedanken über Nachhaltigkeit sollte man sich nicht erst machen, wenn es fast zu spät ist.

Lanzeitarchivierung

Die Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB) digitalisiert Papyri, aber kann diese Daten kaum einen Bruchteil so lang wie ihre Originale erhalten. Hard- und Software-Innovationen erfordern ständiges arbeits- und kostenintensives sowie fehleranfälliges Umkopieren. Zur Langzeitarchivierung wichtiger bzw. oft eingesehener Daten, die nur elektronisch vorhanden oder deren "Sicherungsoriginale" bereits gefährdet sind, hat die ÖNB zwei getrennte Festplatten und Magnetbänder, die im Hochsicherheits-Speicher des Bundes in St. Johann im Pongau für den Notfall aufbewahrt werden. Soll nichts vom kulturellen Erbe verloren gehen, ist dies stark auszuweiten. ÖNB-Generaldirektorin Johanna Rachinger betont im Furche-Gespräch, man nehme an sechs EU-Projekten zu einem gemeinsamen Lösungsweg für diese Sorge aller Nationalbibliotheken teil, auch für technische und urheberrechtliche Fragen. Seit 2005 arbeiten europäische Nationalbibliotheken an der "European Digital Library", in der ihre digitalisierten Inhalte europaweit zur Verfügung stehen - Urheberrechtsfreies und Bestandskataloge sogar bequem zu Hause.

Alltagskultur

Von den wissenschaftlichen Arbeiten erscheint nur noch ein Bruchteil in Druck, sodass die ÖNB gemeinsam mit dem Bundeskanzleramt und Online-Verlegern an einer Gesetzesnovelle arbeitet, damit im Herbst das Parlament beschließen kann, nächstes Jahr die Abgabepflicht auf Online-Publikationen zu erweitern.

Gedächtnisinstitution erhalten aber auch Alltagsgut: Beachtliche Datenmengen aus der Anfangszeit des World Wide Web - wie die ersten Webpages und e-Mails - sind verloren. Daher plant die ÖNB, regelmäßig nach dem Zufallsprinzip alle Seiten auf ".at" als Momentaufnahmen zu speichern und im Haus zugänglich zu machen. Diese "web-Archivierung" wurde in Machbarkeitsstudien getestet und läuft zum Beispiel schon an der Library of Congress, sodass Rachinger optimistisch ist, nächstes Jahr starten zu können. Für diese Anliegen zur Sicherung des kulturellen Erbes veranschlagt sie vier Millionen Euro jährlich vor allem zur Datenspeicherung und-verwaltung - Gelder dafür sieht das Regierungsabkommen vor.

Ähnlich geht es Nachrichtenagenturen. Die nur noch digital erstellten Meldungen der APA-Datenbank werden laufend auf den neuesten technischen Stand gebracht und zur Gänze in zwei unterschiedlichen Rechenzentren und - einmal wöchentlich auf Magnetbändern - gespeichert und extern im Tresor aufgehoben. "Das dauert schon einige Stunden und macht dann klassisch jemand von unserer 24-Stunden-Technik am Wochenende", erzählt Content Manager Rüdiger Baumberger der Furche. Dieses System werde beibehalten - denn "viele Methoden gibt es da derzeit nicht" - und auch nicht international vernetzt, aufgrund der verschiedenen Systeme der europäischen Nachrichtenagenturen, "da kocht jeder sein eigenes Süppchen", meint er. Die historischen Daten der Jahre 1955 bis 1985 wurden digitalisiert und sind für jeden abrufbar, die 110 Jahre davor gingen beim Börse-Brand 1956 restlos verloren.

Wirtschaftliche Gründe

Besonders brisant ist Langzeitarchivierung für Gerichte, Banken, Versicherungen und Unternehmen. Strafen, Verjährunsfristen, Kredite, Patente, und Polizzen laufen über Jahrzehnte, Konstruktionspläne eines Schiffes oder Atomkraftwerks muss man besonders dann einsehen können, wenn es altersschwach wird. International müssen nun Lösungen für die Auswahl und Bewahrung der Datenmengen und die Erhaltung ihrer Benutzbarkeit unabhängig von Software-Veränderungen und Copyright gefunden werden.

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