Das geht an die Nieren

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Der niederländischen Organspende-TV-Skandal zeigt auf, wozu Fernsehen und seine Zuseher fähig sind. Aber auch ein "guter" Zweck heiligt diese Mittel nicht.

Ich habe vor über zehn Jahren die These aufgestellt, dass der seriöse öffentliche Diskurs immer mehr zur Show verkommen wird. Und was ist eingetroffen? Schauen Sie sich die Diskussionen der Gegenwart - und die werden hauptsächlich über die Medien geführt - an." Solches äußerte Neil Postman vor gut acht Jahren im Furche-Interview. Die Prophetie des 2003 verstorbenen der Gurus der Medienkritik scheint sich tagtäglich zu bewahrheiten - mit immer absurderen Vorkommnissen: Die letztwöchige Aufregung um eine Nierenspende-TV-Show in den Niederlanden, die sich als großer Fake entpuppte, zeigte, wie die Schraube noch weiter gedreht wird. Dem Titel des Postman'schen Bestsellers, Wir amüsieren uns zu Tode, scheint diese Mediengesellschaft im Wortsinn näher zu kommen.

"Aber, aber", lassen sich die Beschwichtigungshofräte vor allem des Privatfernsehens vernehmen, so könne man das Ganze ja doch nicht sehen. Immerhin sei der provokative Fake ja von Anfang an Teil des "Spiels" der Medien mit ihrem Publikum gewesen. Mancher rekurriert dann auf Orson Welles' legendäre Radio-Fiktion Krieg der Welten von 1938, bei der halb Amerika glaubte, es seien tatsächlich Marsmenschen gelandet. Natürlich stimmt der Vergleich nicht, denn die Show-Qualität anno 2007 ist etwas anderes als das Radio-Theater eines Orson Welles, der ja auch mit dem Film Citizen Kane als Prophet des Unheils, das Medien anrichten können, in die Geschichte einging. Denn das holländische Millionen-Publikum tat bereitwillig mit bei der Show, bei der eine Spenderniere per Tele-Voting zur Verteilung gebracht wurde.

Es war ja doch alles nur eine Provokation. Und immerhin meldeten sich gleich Zehntausende, um sich als Nierenspender zu registrieren: Das Thema Spenderorganmangel und das damit verbundene Leid wäre anders nie und nimmer in derartiger Breitenwirkung in die Öffentlichkeit gekommen. Es ist ja nichts passiert, es war ein guter Zweck, und der heiligt sicher die Mittel.

Nicht nur Neil Postman würde solch augenzwinkernder Analyse widersprechen. Denn die Vorstellung, dass große gesellschaftliche Probleme nur mehr als großes Spiel und reine Show anzugehen sind, sollte einem kalte Schauer über den Rücken jagen. Was ist dann die nächste Stufe? Nein, das holländische TV-Satyrspiel dient einer mehr als bedrückenden Gesellschaftsdiagnose, einer zeitgenössischen Variante der Menschheitserkenntnis, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei: Ja, tatsächlich wäre ein Millionenpublikum bereit, via Fernsehen über Leben und möglichen Tod von "Kandidaten" zu entscheiden.

Wenn dieser Medienskandal eines klar gemacht hat, dann nicht, wie heute Probleme der Gesellschaft zu thematisieren sind, sondern, dass es jede menschenverachtende Idee schaffen kann, ihr Fernsehpublikum zu generieren und zum Mittun zu bewegen. Solch bittere Erkenntnis müsste endlich einen breiten Diskurs entfachen, der die unendliche Manipulationsmacht, die hier zutage tritt, aufs Tapet bringt.

Denn der "gute Zweck", welcher der Nierenspende-Show zugrunde liegen soll, kann auch für ganz und gar nicht ehrenwertes Ziel missbraucht werden. Was Elias Canetti vor bald 50 Jahren in seinem epochalen Werk Masse und Macht analysiert hat, erhält angesichts der "virtuellen" Masse (der TV-Zuseher erfährt ja nicht unmittelbar die Anwesenheit der "Masse") eine neue, gespenstische Dimension. Nach den Erfahrungen, wie die Hitlerei die damaligen Massenphänomene zur Durchführung ihres diabolischen Gesellschaftsplans zu nutzen wusste, müssen alle Alarmglocken schrillen.

Kein hehres Ziel rechtfertigt solche Mittel. (Wobei man zusätzlich unterstellen darf, dass es den Proponenten des Nierenspende-Fernsehens mindestens ebenso darum ging, ihren Sender in lichte Quotenhöhen zu treiben.)

Was dann, wenn etwa Populisten vom rechten Rand wie ein H. C. Strache solche Instrumentarien in Händen halten, um ihre unappetitliche Politik voranzutreiben? Man könnte ja auch Asylbescheide via Tele-Voting vergeben oder gar Gerichtsurteile auf diese Weise durch solchen TV-"Volksentscheid" ersetzen - keine absurde Vorstellung mehr, denn entsprechende, wenn auch Gott sei Dank rechtlich (noch?) nicht relevante TV- und Internet-Abstimmungen gibt es ja schon längst.

otto.friedrich@furche.at

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