"Das Leben ist nur ein kurzer Augenblick“

Werbung
Werbung
Werbung

Als Oscar Niemeyer 95 Jahre alt war, ließ er den Teppichboden in seinem an der Copacabana gelegenen Büro in Rio de Janeiro durch weiße Fliesen ersetzen. Jetzt sei sein Arbeitsplatz für die nächsten zehn Jahre hergerichtet, meinte der Architekt damals, wie immer eine dicke Havanna in der Hand. Das Poster über seinem Schreibtisch, das drei sich nackt am Strand räkelnde Frauen zeigt, ließ er hängen. Diese zehn Jahre hat er nicht ganz geschafft, ist der am 15. Dezember 1907 als Nachfahre deutscher Einwanderer geborene Baukünstler doch am Mittwoch der vergangenen Woche nur zehn Tage vor seinem 105. Geburtstag in seiner Heimatstadt gestorben. Brasilien wurde daraufhin eine dreitägige Staatstrauer verordnet, sein Leichnam im Präsidentenpalast in Brasilia aufgebahrt, am Freitag wurde er beerdigt.

"Der einzelne Mensch ist nicht wichtig, er wird geboren und stirbt. Das Leben ist ein Hauch, nur ein kurzer Augenblick“, hat Oscar Niemeyer anlässlich eines Interviews zu seinem 100. Geburtstag gesagt. Aber "ich hatte einen Traum“. Den Traum, als Architekt einzigartige, mit den Jahren immer kühner werdende Zeichen zu setzen, mit dem Ziel, die Menschen glücklich zu machen. Hier outete sich der (Nobel-)Kommunist, als der sich der Architekt sein ganzes erwachsenes Leben lang verstanden hat.

Im Anschluss an sein Studium an der Escola Nacional de Belas Artes in seiner Heimatstadt Rio arbeitete Niemeyer im Büro von Lucio Costa am Bau des ersten modernen brasilianischen Gebäudes, des heutigen Kulturpalastes, mit. Dabei lernte er Le Corbusier kennen, der ihn später zu seinem Assistenten machte, mit dessen kühlem Funktionalismus er allerdings nur wenig anfangen konnte. War der rechte Winkel doch die Sache von Oscar Niemeyer nicht. Ihn empfand er als lebensfeindlich, er entsprach nicht seiner Art sinnlicher Ästhetik. Er wollte das Geradlinige durch parabolische Dächer, schräge Wände und Kurven ersetzen. Alles, was Niemeyer gebaut hat, war für den jeweiligen Ort maßgeschneidert, erfüllt von der geistigen Dimension eines Bauwerks. Dabei könnten die Arbeiten des Vielbauers Niemeyer - rund 600 Projekte konnte er in seinem langen Leben realisieren - unterschiedlicher kaum sein.

Niemeyers Opus magnum ist die in den Fünfzigerjahren in der wüstigen Einöde aus dem Boden gestampfte brasilianische Hauptstadt Brasilia. In knapp vier Jahren entstand eine Reihe - inzwischen als Ensemble von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärter - öffentlicher Gebäude, von denen jenes für das Parlament und die Catedral Metropolitana längst als Ikonen der Moderne in die Architekturgeschichte eingegangen sind. Dies gilt auch für sein wie ein riesiges Ufo in majestätischer Eleganz über einer Steilküste bei Niterio schwebendes Museum für zeitgenössische Kunst, das gemeinsam mit Le Corbusier geplante UNO-Headquarter in New York, die Universität Constantine in Algerien oder das Arbeitszentrum Bobigny bei Paris. Letztere entstanden während seiner zwanzig Exiljahre in Paris, nachdem die Militärdiktatur 1966 den bekennenden Kommunisten aus seinem Heimatland vertrieben hatte.

Heute allerdings ist man dort sehr stolz auf ihn, den Pritzker-Preisträger von 1988 und Träger des Prinz-von-Asturien-Preises in der Sparte Kunst von 1989. Mit 21 Jahren hat Oscar Niemeyer zum ersten Mal geheiratet, zum zweiten Mal - nach dem Tod seiner Frau - als 98-Jähriger seine 38 Jahre jüngere langjährige Sekretärin.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung