Der alte Mann und das "Mehr"

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Heinz Nußbaumer Herausgeber

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Glauben Sie an Österreich und Europa? Spüren Sie das Glück, hier leben zu dürfen? Und die Verantwortung, die damit verbunden ist?

Falls nicht: Es gibt einen überzeugten und überzeugenden Wegweiser. Zu seinem unglaublichen 90. Geburtstag Anfang 2017 arbeitet der ORF derzeit an einer großen Dokumentation. Zu Recht - welch packendes Leben!

In den vergangenen Tagen bin ich dieser "Legende" vor laufenden Kameras gegenübergesessen. Bin mit ihm in seine Erinnerungen eingetaucht. Faszinierend, auf welch stabilem Fundament an Wissen und Erfahrung sein Weltbild und sein Glaube an Österreich ruhen! Und wie leidenschaftlich er davon zu erzählen vermag!

Ich rede - Sie ahnen es -von Hugo Portisch. Dem Mann, der sein Geburtsdatum mit jedem Satz Lügen straft. Der sich noch immer an die Namen seiner Gesprächspartner erinnert, die ihm vor 50 oder 60 Jahren begegnet sind - weltweit und in Österreich. Der alle wichtigen Daten und Akteure der Zeitgeschichte gespeichert hat. Und der die großen Zusammenhänge so präzise zu formulieren vermag, dass selbst die Kameraleute und Tontechniker, die jetzt unseren Gesprächen lauschten, mehrfach spontan applaudierten. - Nein, ich möchte nicht wieder das Loblied auf einen Solitär im Journalismus singen, dessen Reputation unseren - meist als "windiges Geschäft" diffamierten - Berufsstand sosehr überragt. Der, wenn er nur gewollt hätte, sogar in die Hofburg eingezogen wäre.

Was mir in diesen Tagen "am Set" durch den Kopf gegangen ist, war eher Wehmut. Trauer über eine verlorene Zeit.

Weite und Tiefe

Portischs Welt - als Kurier-Chef und als ORF-Welterklärer - hat uns Österreichern damals ein Mehr an Weltoffenheit geschenkt, das heute kaum noch zu finden ist. Ältere unter uns erinnern sich, wie hunderttausende Landsleute begeistert seine großen Serien über Afrika und Vietnam, über Lateinamerika und China, über die Atomarsenale der Supermächte, die Wahlkämpfe in den USA, die geheimen Zukunftslabors in Sibirien u. v. m. gelesen und gesehen haben.

Wer, so frage ich mich, führt uns heute, in Zeiten angeblicher "Globalisierung", noch so konsequent hinaus ins Weite? "Generalstreik in Argentinien" - das war unter ihm noch der legitime Aufmachertitel einer Massenzeitung. Wo gibt es das noch?

Und ausgerechnet am Beginn dieser Woche, als heimische Medien im Blick auf die Neuwahl der ORF-Spitze den Zugriff der Parteien "zum Kotzen" fanden, erzählte uns Hugo Portisch von seinem so erfolgreichen ORF-Volksbegehren (1964) gegen den totalen Parteienproporz im Rundfunk. 31 Zeitungen hatten sich ihm damals angeschlossen, 832.000 Österreicher ihn mit ihrer Stimme unterstützt. Und das, obwohl Radio und TV darüber kein Wort verlauten lassen durften.

Wo sind die Portischs von heute? Wo die Solidarität von Journalisten und Lesern? Und wo jene Hunderttausenden, die Medien von solcher Weite und Tiefe stützen?

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