Der ORF als Gleitmedium

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Die ORF-Wahl hat einmal mehr - und diesmal besonders deutlich - gezeigt: Die ÖVP hat keinen Plan, die SPÖ hat einen. Beides ist für den ORF nicht unproblematisch. Er wird sich immer weiter von dem entfernen, was er sein sollte.

Was heute nicht schon alles "historisch“ ist: Mit diesem großen Wort bedachte Stiftungsratsvorsitzende Brigitte Kulovits-Rupp die Wiederwahl von Alexander Wrabetz zum Generaldirektor des Österreichischen Rundfunks (ORF). Dieses Ergebnis kam ja bekanntlich völlig überraschend - und vorausgegangen war ihm ein nervenzerfetzender Wettlauf von Top-Leuten aus dem ganzen deutschen Sprachraum … Nun also Wrabetz, wer hätte das gedacht?

Schwierig ist es, keine Satire über die Vorgänge rund um die ORF-Wahl zu schreiben (difficile est satiram non scribere; Juvenal, 1./2. Jh.). Zum Beispiel darüber, dass die ÖVP offenbar fünf vor zwölf draufgekommen ist, dass sie den ORF völlig vergurkt hat und das durch seltsam anmutende Rundumschläge zu kompensieren versuchte. Aber wenn man gegenüber dem Koalitionspartner auch sonst keine Strategie hat, wie sollte es dann auf dem Minenfeld der Medienpolitik anders sein? Sie haben ja den Grasl als Kaufmännischen Direktor (der vielleicht kompetenzmäßig upgegradet wird), und der ORF überträgt Grafenegg, und weil ein bisserl was immer geht, wird sich ein bisserl was darüber hinaus personell auch noch ausgehen … Noch Fragen?

Knapp an Nordkorea vorbei

Hätte es noch eines Beweises bedurft, dass diese Wahl eine Farce und das Vorgehen der ÖVP stümperhaft ist, so beseitigte das VP-Freundeskreis-Treffen am Montag die letzten Zweifel. Am Vorabend der Wahl trifft sich der schwarze Freundeskreis (den es wie die anderen Freundeskreise im entpolitisierten ORF eigentlich gar nicht geben dürfte, aber das ist eine andere Geschichte), um das Abstimmungsverhalten zu besprechen! Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen! Deutlicher kann man kaum signalisieren, dass man zwar keinen Plan hat, aber trotzdem irgendwie mitschneiden möchte. Immerhin, fünf VP-Räte mit Freundeskreis-Leiter Franz Medwenitsch an der Spitze (natürlich nicht die Länder- und Belegschaftsvertreter) und vor allem der unabhängige, weltanschaulich bürgerlich-konservative Alexander Hartig haben einen Rest an Ehre ihres Gremiums gerettet: Mit ihren Enthaltungen konnten sie ein Ergebnis der Marke Pjöngjang verhindern …

Nein, das Ganze ist natürlich nicht nur ein ÖVP-Problem - aber bei der SPÖ ist die Sache sowieso klar: "Die Medienpolitik der SPÖ ist ORF-Politik ist Generaldirektorenbestellungspolitik“, wie Katharina Schell in der APA zutreffend schreibt. "Der Rest ist ein Selbstläufer.“ Und zu diesem "Rest“ gehört etwa auch, "die Verleger bis auf einige befreundete Großblätter als Klientel des Koalitionspartners und damit als Randerscheinung zu betrachten“ (APA). Letzteres fand seine Bestätigung in einem wundersamen Interview, das der offenbar in seiner Siegesgewissheit übermütig gewordene Wrabetz kurz vor der Wahl dem Standard gab: Dort qualifizierte er taxfrei die Verleger und Vertreter der Privatsender, die sich erfrecht hatten, Wrabetz’ kühne Forderungen nach mehr Geld und weniger Vorgaben zu kritisieren, als "Westentaschen-Murdochs“ ab.

Die Schimäre vom "Leitmedium“

Auf das bewährte Wort vom "Leitmedium“ griff Wrabetz in seinem zur neuerlichen Bewerbung vorgelegten Konzept zurück. Tatsächlich, wenn "öffentlich-rechtlich“ einen Sinn haben soll, dann müsste der ORF eine Art Leitmedium des Landes sein: ein medialer öffentlicher Raum, der gewissermaßen sich selbst gehört, ein Forum der kritischen Selbstvergewisserung des Landes, des öffentlichen Diskurses, eine Schule des Staatsbürgertums. Wer aber sieht, wie selbst Ö1 - das Öffentlich-Rechtlichste am ORF - immer geschwätziger wird (von der ideologischen Schlagseite gar nicht zu reden), der weiß, dass der Begriff "Leitmedium“ jetzt schon Schimäre ist und noch mehr werden wird.

Vielmehr ist das Unternehmen zum Gleitmedium der Machthaber(er) verkommen. Gewiss, das ist die strukturelle Gefährdung jedes öffentlich-rechtlichen Senders. Aber sie wurde kaum je zuvor so deutlich greifbar, wie bei dieser ORF-Wahl.

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