Die Beharrungskräfte der Medienpolitik

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"Im Internet konkurrenzieren sich die Angebote der bis dahin säuberlich getrennten Print-und Rundfunk-Anbieter. Doch die Medienpolitik behandelt den Rundfunk weiter wie einen isolierten Markt."

Österreich führt eine - bisweilen hitzige -Debatte zur Zukunft des öffentlichen Rundfunks. Damit steht es nicht alleine. Die Schweiz trug jüngst einen verbissenen Abstimmungskampf aus, nachdem eine Volksinitiative die ersatzlose Abschaffung der Rundfunkgebühren gefordert hatte. Laut einer aktuellen Umfrage wünschen sich 39 Prozent der Deutschen das Ende des öffentlichen Rundfunks. Dänemark, Frankreich, Italien -fast alle europäischen Staaten ringen mit ihrem öffentlichen Rundfunk. Wie konnte es soweit kommen?

Zweifellos gibt es politische Akteure, die einen verbreiteten Unmut gegenüber dem gebührenfinanzierten Rundfunk dankbar aufgreifen -und versuchen, aus ihm Profit zu schlagen. Doch dieser Umstand sollte nicht zu einfachen Schuldzuschreibungen verleiten. FPÖ, AfD, SVP &Co. mögen die Krise des öffentlichen Rundfunks anheizen -Verursacher der Krise sind sie nicht. Denn die Krise des öffentlichen Rundfunks ist struktureller Natur: Sie ist das Ergebnis des Medienwandels.

"Status Quo Bias" und "Regulatory Capture"

So einfach diese Diagnose auf den ersten Blick erscheint, steckt in ihr doch eine erhebliche Komplexität. Denn eine medienpolitische Lösung für die technologieinduzierte Erschütterung der Rundfunkordnung ist weder offenkundig noch einfach umsetzbar. Zwei Konzepte der Ökonomie können helfen, dies zu erklären. Sie heißen "Status quo Bias" und "Regulatory Capture".

Beginnen wir mit dem "Status quo Bias". Die Verhaltensökonomie zeigt, dass Menschen kognitiven Verzerrungen unterliegen, bedingt durch eine Neigung zum sparsamen Denken. So wählen wir mentale Abkürzungen oder verweigern das Hinterfragen gewohnter Weisheiten. Einem "Status quo Bias" unterliegen wir entsprechend, wenn wir gewohnte Zustände verteidigen, weil wir in irrationaler Weise Veränderungen als Bedrohung empfinden. Wir verweigern dann zu hinterfragen, wie es zum heutigen Zustand gekommen ist, und ob es vorzugswürdige Alternativen geben könnte.

Auf den öffentlichen Rundfunk angewandt: Gerne wird übersehen, dass der öffentliche Rundfunk eine relativ junge Erfindung ist. Errichtet wurde er erst vor einigen Jahrzehnten, um ein spezifisches medienökonomisches Problem zu lösen: die schwierige Refinanzierung audiovisueller Inhalte in der Frühzeit des Rundfunks. Gerade in kleinen Medienmärkten kam damals ein Rundfunk-Wettbewerb nur schleppend in Gang. Darum entschieden sich die Staaten Europas, je ein öffentliches Rundfunkhaus zu finanzieren. Dass es sich dabei um eine vor allem medienökonomisch begründete Entscheidung handelte, lässt sich am Vergleich zum Print-Markt erkennen, dessen anders gelagerte Ökonomie ein liberaleres regulatorisches Regime zur Folge hatte. Ein weiteres Beispiel: Im großen amerikanischen Rundfunk-Markt konnten sich schon in den 1930er-und 1940er-Jahren erfolgreiche private Anbieter etablieren -der öffentliche Rundfunk wurde daher dort nie zu europäischen Dimensionen ausgebaut.

Mit der Verbreitung privater Anbieter geriet in der 1980er-Jahren jedoch auch in Europa das ökonomische Argument für einen öffentlichen Rundfunk ins Wanken. Tatsächlich bieten die 1980er-Jahre zahllose Illustrationen eines "Status quo Bias": Plötzlich wurden Argumente für den öffentlichen Rundfunk vorgebracht, die wenig mit seiner ursprünglichen Legitimation zu tun hatten. Man hatte sich an den öffentlichen Rundfunk als Teil westlicher Demokratien gewöhnt und hielt ihn darum inzwischen für unverzichtbar.

Dies führt uns zum zweiten ökonomischen Konzept, das ebenso in den 80erJahren sehr greifbar wurde: der "Regulatory Capture". Darunter verstehen Ökonomen eine Form von Staatsversagen, indem öffentliche Institutionen, die der Regulierung und Kontrolle einer Interessengruppe dienen sollten, zu deren Verbündeten und Verteidigern werden. Die hanebüchene Langsamkeit der Zulassung privater Rundfunkanbieter in Europa ist ein Lehrbuchbeispiel dieser Entwicklung. Die Aufsichtsorgane des öffentlichen Rundfunks waren (und sind) in einer Weise auf den Erhalt und das "Management" desselben ausgerichtet, dass ihnen ein Denken in Alternativen nahezu unmöglich wurde.

Dummerweise wirbelt nun aber die Digitalisierung - und die mit ihr verbundene Medienkonvergenz -die medienökonomischen Logiken der alten Mediengattungen durcheinander. Im Internet konkurrenzieren sich die Angebote der bis dahin säuberlich getrennten Print- und Rundfunk-Anbieter frontal.

Doch die Medienpolitik behandelt den Rundfunk unverändert wie einen isolierten Markt, eine eigenständige Mediengattung. Mehr noch, die Medienpolitik geht immer noch vom Dogma mangelnder Refinanzierbarkeit audiovisueller Inhalte aus. Der öffentliche Rundfunk als Instrument zur Behebung eines früheren Marktversagens wird so immer mehr zur Ursache von Marktverzerrungen.

Frontstellung Private -Öffentliche

Private Medienhäuser bringen sich daher heute in Frontalstellung zum öffentlichen Rundfunk. Tatsächlich war dieser nie als Wettbewerber der Print-Anbieter gedacht, die Medientechnologie erst hat ihn zu einem werden lassen. Die Medienpolitik gerät in Zugzwang, den "Status quo Bias" zu überwinden und den "Regulatory Capture" durch ein unbefangenes Hinterfragen des Zwecks und der Organisation eines öffentlichen Medienangebots aufzubrechen.

Was also ist das medienökonomische Problem, das die Politik im digitalen Zeitalter zu überwinden hat? Ein Mangel an audiovisuellen Inhalten zweifellos nicht. Möglicherweise aber ein Mangel an qualitativ hochwertigen Inhalten? Dies jedenfalls wird in der Fachdebatte häufig postuliert. Da es im Netz zu einem direkten Wettbewerb privater und öffentlicher textlicher und audiovisueller Angebote kommt, handelt es sich beim Unterhalt eines öffentlichen Medienhauses jedoch um eine zu marktverzerrende Lösung für dieses Problem.

Medienökonomisch vorzugswürdige Modelle

Zwei medienökonomisch vorzugswürdige Alternativen wurden bis dato vorgeschlagen: Erstens eine Entwicklung des öffentlichen Rundfunks zu einer audiovisuellen Nachrichtenagentur, die privaten Anbietern kostengünstig hochwertige Inhalte zur Verfügung stellt und so zu einer Sicherung der journalistischen Qualität beiträgt. Nachteil dieses Modells ist sein negativer Anreiz auf die Erstellung privater journalistischer Inhalte und die drohende Vereinheitlichung audiovisueller Berichterstattung.

Alternative zwei wäre ein Ende der öffentlichen Finanzierung eines Medienhauses - und stattdessen die gezielte Förderung hochwertiger medialer Inhalte, unabhängig vom Anbieter. Auch so würde die Erstellung und Verbreitung hochwertiger Inhalte unterstützt. Marktverzerrungen könnten hier allenfalls entstehen, wenn immer wieder dieselben wenigen Medienhäuser eine Förderung erführen -und so einen Markteintritt für neue Anbieter erschweren.

Beide Alternativen weisen also zweifellos Schwächen auf und können nicht als wettbewerbsneutral betrachtet werden. Sie wirken in einem konvergenten Medienmarkt jedoch deutlich weniger verzerrend als die heutige Ordnung. Und sie folgen mindestens dem Versuch, vorurteilsfrei eine geeignete politische Lösung für die medienökonomischen Probleme der Gegenwart zu entwickeln -statt an den Lösungen für die Probleme der Vergangenheit festzuhalten.

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