Die beste Wahlwerbung sind pünktliche Löhne

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In Sibirien geht der Präsidentschaftswahlkampf fast spurlos an der Bevölkerung vorüber.

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In Sibirien geht der Präsidentschaftswahlkampf fast spurlos an der Bevölkerung vorüber.

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In Ulan-Ude ist es kaum zu glauben, daß demnächst Präsidentschaftswahlen stattfinden. Die Straßen sind frei von Wahlplakaten, Rundfunk und Presse berichten nur sporadisch bis gar nicht über die verschiedenen Kandidaten. Es scheint keinen öffentlichen Wahlkampf zu geben, hier im südostsibirischen Burjatien. Bis nach Moskau ist es weit, und die Menschen haben andere Sorgen. Die Bevölkerung zeigt sich wohl nicht zuletzt deshalb so desinterressiert an den politischen Möglichkeiten, weil ohnehin jeder zu wissen glaubt, wie der nächste Präsident Rußlands heißen wird: Wladimir Wladimirowitsch Putin.

Den meisten ist das eigentlich ganz recht - er trinkt nicht und wirkt seriös, man schätzt sein ernstes Gehabe im Fernsehen, er hat öffentliche Auftritte en masse - ganz im Gegensatz zu seinen Konkurrenten. Deshalb ist auch so gut wie niemand imstande, die 12 Kandidaten vollständig aufzuzählen und über ihre Parteien zu sprechen. Es herrscht allerdings sogar Unsicherheit über Putins Parteizugehörigkeit. Bekannt ist seine Person, aber keiner interessiert sich für die Partei hinter ihm.

An der allgemeinen politischen Unwissenheit ist nicht nur das Desinteresse der Leute (auch der Intellektuellen!) schuld, es ist nicht so einfach, sich Informationen zu beschaffen. Die russische Presse bietet keine umfassende Darstellung der Politlandschaft und kaum Werbung von Seiten der Kandidaten. Es wäre auch verlorene Liebesmüh, den Wahlkampf über die Zeitungen auszutragen, sie werden wenig gelesen. Man findet sie einerseits teuer, andererseits kaum informativ und nicht glaubwürdig. Ausländische Medien - ja, die wären interessant, aber die sind in Ulan-Ude nicht verfügbar.

Bleibt das Fernsehen als wichtigstes Medium: hier haben alle Kandidaten ihre Auftritte, kostenpflichtige Werbesendungen, ähnlich wie in Österreich zu Vorwahlzeiten. Nur Putin tritt - weil amtierender Präsident - täglich gratis auf. Außerdem wird über kleine Skandale berichtet wie etwa die Steuerhinterziehungen des extremen Rechtsaußen Schirinowski, die ihn fast die Kandidatur gekostet hätten.

Diskussionsrunden mit den oder über die verschiedenen Kandidaten gibt es nicht. Noch nicht. Angeblich überschüttet man das russische Volk immer zwei, drei Tage vor der Entscheidung mit einer Informationslawine. Es gibt schließlich noch viele unentschlossene Wähler und Wählerinnen, und es scheint keinesfalls ganz sicher, daß Putin schon in der ersten Runde gewinnt. Grigorij Jawlinski von der liberalen Partei "Jabloko" (Apfel) und der Kommunist Michajl Sjuganow werden für ernstzunehmende Konkurrenten gehalten, die es bis in eine Stichwahl schaffen könnten.

Putins KGB-Vergangenheit wird meistens mit Achselzucken abgetan, es waren doch fast alle Präsidenten irgendwann einmal beim KGB. Die Kontrolle der russischen Internetserver ist den meisten ebenfalls egal, sie wünschen "viel Vergnügen beim Lesen unserer interessanten Privatmails". Telefongespräche wurden sowieso immer abgehört, man ist daran gewöhnt. Nur beim Thema Tschetschenien regt sich Kritik an Putins Politk. Aber nur die wenigsten sind prinzipiell gegen diesen Krieg, nicht einmal die, die morgen bereits selbst Kanonenfutter sein könnten.

Das Interessanteste an der Vorwahlzeit ist die größere Regelmäßigkeit bei der Auszahlung der Löhne, so sagt man und geht den Tagesgeschäften nach. Löhne zahlen, das ist auch eine Art der Wahlwerbung - wieder eine für Wladimir Putin.

Die Autorin ist derzeit Deutschlektorin an der Universität Ulan-Ude.

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