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2,6 Millionen Zuschauer. Leere Straßen. Eine junge Frau beeindruckt. Die Experten weniger. Eine Nachlese zum letztwöchigen Medienhype.

M an kann es apokalyptisch sehen, und die Endzeit des Medienzeitalters heraufdräuen sehen. Oder man kann einfach so tun, als ginge es um Business as usual: professionelle Medienbetreuung, professionelle psychologische und sozialhygienische Betreuung, und das war's dann. Der Medienfall Natascha Kampusch entzieht sich solch eindeutigen Befunden: Ja es war kaum überbietbar, wie sich das mediale Interesse auf die junge Frau fokussierte: Die höchste Quote, die der ORF je erreichte, fuhr die zaghafte Geschichte einer kürzlich Freigekommenen ein. Wahrscheinlich sind auch Summen geflossen, die man hierzulande bislang nicht kannte - all das kann Medienkritikern sauer aufstoßen.

Die Fragen allerdings lauten: Wäre das alles zu verhindern gewesen? Und: Hätte man dies alles verhindern sollen? Natascha Kampusch und ihre Auftritte wurden so oft medial beleuchtet, zerpflückt, analysiert, seziert, dass jede Schattierung an Medienlob und-schelte möglich ist.

Zunächst einmal der ORF: Das Interview, das die Straßen Österreichs am vorletzten Mittwoch leerfegte, gehörte vermutlich zu den Lehrbeispielen, wie eine öffentlich-rechtliche Anstalt solche Herausforderung meistern kann: Kein Opfer wurde hier vorgeführt, sondern konnte, behutsam begleitet, seine Geschichte erzählen. Eine Erzählung, die allerdings kaum das wiedergab, was die acht Jahre Gefangenschaft tatsächlich ausgemacht hatte.

Problematisch wurde es erst danach, als der ORF wieder einmal die Expert(inn)en und Betreuer(inn)en zum Runden Tisch bat, und dort ein öffentliches Consilium über deren Patientin/Klientin abhalten ließ: Man muss Peter Rabl im Sonntags-Kurier dankbar sein, dass er das auf den Punkt brachte: "Selbstverständliche Regeln wie die ärztliche Schweigepflicht werden ständig missachtet, das Vertrauen der geschundenen Frau wird fortgesetzt missbraucht."

Natürlich zeigt das Privatfernsehen, dass es da noch viel tiefer geht: Das Interview konnte RTL ja nicht verändern, aber dafür setzte die deutsche Anstalt einen Experten für Körpersprache und einen Polizeipsychologen vor den Fernseher - und die durften dann ihre Ferndiagnosen zum Besten geben. Nicht viel besser eine Professorin für Psychotherapie anschließend bei Günther Jauchs stern tv: Auch hier Ferndiagnosen und leicht fassliche, aber unseriöse Erklärungen.

Eine ambivalente Bilanz der TV-Berichterstattung also. Viel anders schaut es auch bei Print nicht aus: Dass das reichweitenstärkste Kleinformat und die wegen impertinenter Berichterstattung kritisierte Illustrierte die Exklusiv-Interviews bekamen, war befremdlich, aber beide zahlten offenbar genug.

Während Alfred Worm in News ein einigermaßen zivilisiertes Interview ablieferte, kannte die Krone keine Gnade mit ihren Leser(inne)n: Wie Kampusch-Interviewerin Marga Swoboda ihre eigenen Befindlichkeiten ausbreitete, war kabarettreif: "Was werde ich sie fragen, ganz am Anfang. Beruhigen Sie sich, sagen die Betreuer" - wohlgemerkt zu Marga Swoboda, nicht zu Natascha Kampusch. Dann das Interview in mehrtägigen Teilen, dazu auch noch ein Gedicht von Frau Elisabeth Tunner aus Murau: "Nataschas Schicksal - es berührt / die gaunze Wölt is intressiert ..."

Wer geglaubt hat, die Krone würde die größte Lachnummer zur Causa liefern, hat auf Österreich vergessen: Weil das neue Fellner-Blatt halt keine Interviews erhielt, schrieben die Redaktionssekretärinnen beim ORF-Auftritt Kampuschs mit, das Ergebnis wurde auf Hochglanz gedruckt und mit Screenshots vom Fernseher illustriert (ja, auch der Österreich-Fotograf hatte keinen Zugang zu Frau Kampusch...): Auf diese Art Journalismus hat Österreich gewartet! Den Qualitätsmedien im Lande gebührt ein viel positiveres Zeugnis, selbst wenn man auch da fündig wurde - wie im Wochenend-Standard, wo der Innsbrucker Psychologe Heinz Zangerle das Kampusch-Schicksal zum Rundumschlag gegen Erziehung und Schule missbrauchte. So meinte Zangerle, weil Natascha Kampusch von der "gängigen Kombination aus einem Übermaß an Freiheit und wehleidiger Kuschelpädagogik" ferngehalten worden sei, habe sie sich zu solch einer beeindruckenden Persönlichkeit entwickeln können. Kein Schmäh, Zangerle schrieb im Standard wirklich: "Überspitzt formuliert könnte man den Eltern angesichts des Falles Kampusch nur den guten Rat geben: Will man ein selbstbewusstes, intelligentes, schlagfertiges, gebildetes und weltgewandtes Kind haben, halte man es am besten von der Schule fern ..."?!?!

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