Die Kinder der Rundfunkreform

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Eine kleine Geschichte von Ö1 und Ö3.

Es war ein beklagenswerter Zustand, in dem sich Österreichs Radio in den 1960er Jahren befand: Die Information, als "willfähriges und noch dazu kostenloses Propagandainstrument" (Gerd Bacher) im Würgegriff der beiden Großparteien, das Sendungsangebot ein "unerträgliches Kraut und Rüben-Programm" (so der heutige Ö1-Chef Alfred Treiber). Dann kam das ORF-Volksbegehren und das Gesetz zur Reform des Rundfunks. Der neue ORF-Generalintendant Bacher und seine Mannschaft machten die staatliche Rundfunkanstalt zu einem für damalige Zeiten hochmodernen Medienunternehmen. Was das bedeutete, bekamen Österreichs Radiohörer erstmals am 1. Oktober 1967 zu hören. 40 Jahre ist das nun her. Es war der Beginn zweier sehr unterschiedlicher Erfolgsgeschichten: der von Ö1 als Kultursender mit einer weltweit einzigartigen Reichweite und der von Ö3 als kommerziell erfolgreichstem Popsender Europas.

Mit der Rundfunkreform hielt erst einmal ein neuartiges Nachrichtenverständnis im ORF Einzug. Politische Berichterstattung hatte unabhängig zu sein und nicht mehr den Charakter von Belangsendungen. Im Zentrum der "Informationsexplosion" stand das heute noch bestehende Mittagsjournal, eine einstündige Nachrichtensendung, in der nach amerikanischem Vorbild ein "Anchorman" durch die Sendung führte. Damals war das eine sensationelle Neuheit.

Noch tief greifender aber war die Einführung dreier Strukturprogramme, die sich an eine jeweils unterschiedliche Hörerschaft richteten. Ö1 als "Repräsentanz des geistigen und musischen Österreich", Ö3 als "betont progressives Unter-haltungsprogramm mit dicht gesetzten Informationsakzenten" und - nicht zu vergessen - Ö2 beziehungsweise Ö Regional zur "Pflege der bodenständigen konservativen Unterhaltung", um mit den Worten Bachers zu sprechen.

Kultur, nicht nur Hochkultur

Das Programm von Ö1 bestand neben den neuen Nachrichtensendungen anfangs vor allem aus klassischer Musik und der Pflege von Literatur. Kunst, Wissenschaft und Religion waren Thema in Sendungen wie dem Schulfunk, die sich unverändert aus der Zeit vor den Reformen herübergerettet hatten. Trotz der modernen Struktur blieb Ö1 ein in der Sache altmodischer Sender. Im damaligen Literaturverständnis etwa galten Elfriede Jelinek, Peter Handke, H. C. Artmann, Friederike Mayröcker oder Ernst Jandl als der "letzte Dreck", wie ein leitender, für Literatur zuständiger ORF-Mitarbeiter kund tat.

Doch die gesellschaftlichen Umbrüche jener Zeit - die Ereignisse des Jahres 1968, der Beginn der Kanzlerschaft von Bruno Kreisky - gingen nicht ganz spurlos an Ö1 vorüber. 1974 wurden Die letzten Tage der Menschheit des damals noch nicht als Klassiker anerkannten Karl Kraus in ungekürzter Fassung gesendet. In den 1980er Jahren wechselten immer mehr Mitarbeiter der legendären Ö3-Sendung Musicbox zu Ö1, darunter der heutige Ö1-Chef Treiber, und brachten ein neues Verständnis vom Radiomachen mit. Dazu gehörte die Überzeugung, dass sich ein Kultursender nicht nur Hochkultur zu widmen habe. In der Folge begann der "Hofratswitwensender" (ORF-Jargon), sich auch anderen Bereichen zu öffnen. Treiber nennt die Einführung der Sendungen Diagonal und Radiokolleg - die den Schulfunk ablösten - im Jahr 1984 "den wichtigsten Schritt in Richtung eines zeitgemäßen Radios".

1987 brachte ein neues Sendeschema viele Sendungen, die es heute noch gibt, etwa Tonspuren oder Kunstradio. In jenem Jahr ging auch zum ersten Mal Peter Huemers Reihe Im Gespräch auf Sendung. 1995 kam abermals ein Neuerungsschub, der mit den Spielräumen oder der Musikviertelstunde des Radiokollegs die überfällige Aufwertung von Jazz, Folk, Weltmusik und anspruchsvollem Pop mit sich brachte. Schließlich befinden sich unter der nachwachsenden Hörerschaft von Ö1 immer mehr Menschen, die nicht oder nicht nur mit klassischer Musik, sondern mit Popmusik im weitesten Sinn sozialisiert wurden. Dass 2002 das Opernkonzert seinen prominenten Sendeplatz um 13 Uhr einbüßte, ist ein Symptom dieser Entwicklung.

Die Geschichte von Ö1 spiegelt sich auch im Bereich Religion wider: Dass ein halbes Jahr nach der Geburt des Senders erstmals die Ökumenische Morgenfeier ausgestrahlt wurde, bedeutete auch hier einen ersten Aufbruch. Der Kirchenfunk, wie die Religionsabteilung bis 1980 hieß, war über lange Zeit Sprachrohr der Kirche, die Inhalte und Personen bestimmte. Doch die Übernahme der Hauptabteilung Religion durch Hubert Gaisbauer im Jahr 1989 markierte eine neue Ära. Religion war zu einem Thema wie jedes andere geworden, Religionssendungen richteten sich nicht mehr nur an gläubige Christen, sondern an alle an religiösen Themen Interessierten, sei es an Angehörige anderer Glaubensgemeinschaften, sei es an Menschen, für die Religion bloß ein Kulturphänomen darstellt.

Abschied von der Ambition

Auch Ö3 begann vor 30 Jahren ambitioniert. Es gab Literatursendungen, sogar der Kirchenfunk und die Hauptabteilung Ernste Musik lieferten Musik beziehungsweise Kurzbeiträge. Friedrich Heer und Friedrich Torberg verfassten literarische Texte für Ö3, wo auch Axel Cortis Radiofeuilleton Der Schalldämpfer lief.

Der jugendlichen Gegenkultur - musikalisch wie inhaltlich - war die Musicbox verpflichtet (vgl. dazu den Artikel von Hubert Gaisbauer auf Seite 21/22 dieses Dossiers). Ansonsten wurde zu einem großen Teil internationale Popmusik gespielt, obwohl Ö3 auch maßgeblich zum Siegeszug des Austropop beitrug.

Der deutsche Schlager hingegen, die "germanischen Schwachsinnigen", wurden von Generalintendant Bacher höchstpersönlich mit dem berühmten "Schnulzenerlass" nach Ö Regional verbannt. Randgebiete der "Unterhaltungsmusik" deckten Walter Richard Langer mit Vokal - Instrumental - International oder Gerhard Bronner mit Schlager für Fortgeschrittene ab.

Doch die Qualität begann schon früh kontinuierlich zu schwinden. 1973 zum Beispiel übersiedelte Corti mit seinem Schalldämpfer zu Ö1. 1995 verschwanden die letzten Reste des guten alten Ö3 aus dem Programm: die Musicbox, Wolfgang Kos' Pop-Museum, das bis dahin durchgeschaltete Mittagsjournal.

Der Sender wurde kurz vor Einführung der Privatradios in Österreich zu einem Formatradio umgebaut: mit einer streng festgelegten Musikfarbe, nämlich Hitparaden-Pop, genauen Richtlinien, wie eine typische Sendestunde abzulaufen hat, und einer Moderation, die permanenter Heiterkeit verpflichtet ist - "ein stinknormaler Radiosender", so der damalige Ö3-Chef Bogdan Ros´ci´c, der sich damit abfinde, dass Radio für die meisten nur ein Nebensache darstellt. Die Legitimation für diese Maßnahme: Ö3 trägt als Cash cow zur Finanzierung der qualitativ hochwertigen ORF-Sender Ö1 und FM4 bei.

Die Rolle des progressiven Jugendsenders hat mittlerweile FM4 inne. Keimzelle dieses auf Popmusik abseits des Mainstreams ausgerichteten Kultursenders, der seit 1995 als Abendprogramm auf der Frequenz von Blue Danube Radio und seit 2000 als Vollprogramm ausgestrahlt wird, bildeten die Mitarbeiter der Ö3-Musicbox. So erwies sich diese Sendung zum letzten Mal als einflussreichste Nachwuchsschmiede des ORF.

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