"Die Leine muss länger werden"
Zur Zeit wird die heimische Sendeanstalt wegen "Taxi Orange" & Co kritisiert. Dies verschleiert, dass die Politik den ORF in Atemschwierigkeiten bringt.
Zur Zeit wird die heimische Sendeanstalt wegen "Taxi Orange" & Co kritisiert. Dies verschleiert, dass die Politik den ORF in Atemschwierigkeiten bringt.
Taxi Orange' gehört selbstverständlich nicht zum Kernprogrammauftrag des ORF." Diese Replik von ORF-Sprecher Thomas Prantner fand sich letzte Woche auf der Leserbriefseite der Furche. Eine beruhigende Aussage? Jedenfalls deutet sie an, dass sich der ORF nicht ganz sicher ist, wie gut ihm die Aufregung um "Taxi Orange" tut.
Doch die weiteren Argumente im zitierten Leserbrief zeigen, wie die ORF-Spitze ihr Gewissen beschwichtigt: Der ORF, so Öffentlichkeitsarbeiter Prantner, konnte nicht zusehen, dass 500.000 seiner Zuseher zu RTL 2 und "Big Brother" abwanderten. Öffentlich-rechtlich heiße "eben, allen die Gebühren zahlen, etwas zu bieten". Außerdem müsse die heimische TV-Anstalt (Werbe-) Geld verdienen, um öffentlich-rechtliche Leistungen wie das "Informations-, Kultur- und Wissenschaftsangebot im Fernsehen" oder den "Radiokultursender Ö1" zu finanzieren.
Bei solcher Argumentation liegt Widerspruch auf der Zunge: Der ORF verdient also um 20.15 Uhr viel Geld, damit er dann gegen oder nach Mitternacht anspruchsvolles Programm senden kann. Und zu behaupten, dass Sendungen wie "Taxi Orange" unter den öffentlich-rechtlichen Auftrag fallen, ist - gelinde gesagt - kühn.
Der schnelle Zorn sollte aber die differenzierte Auseinandersetzung mit den neuen Entwicklungen nicht ersetzen. Jedenfalls wird manch schäumende Kritik an der Reality-TV-Versuchung, der sich der ORF zur Zeit hemmungslos hingibt, der Problematik nicht gerecht.
Caritas-Präsident Franz Küberl, von den Kirchen ins ORF-Kuratorium entsandt, weist im furche-Gespräch etwa darauf hin, dass auch der ORF nicht abgehoben von der Gesellschaft und von der Entwicklung des Mediums agieren kann: Zweifelsohne sei das Fernsehen heute nicht mehr jene Bildungs- und Kulturinstitution, die es einmal war. Wenn sich Fernsehen zu einem Hintergrundmedium wie das Radio entwickle, das nur "nebenbei" konsumiert werde, habe das großen Einfluss aufs Programm.
Reality-TV wie "Taxi Orange", das ihm persönlich wenig nahe ist, spiegelt für Küberl aber "glasklar das Gesellschaftsmodell des Neoliberalismus" wider, in dem "jeder sich selbst vermarktet".
Die Debatte über den Stellenwert des Fernsehens ist in der Tat gleichzeitig mit der Diskussion über das, was "öffentlich-rechtlich" bedeutet, zu führen. Es ist aber auch darüber nachzudenken, was das Privatfernsehen kann und soll. Nicht zuletzt deswegen (privates TV gibt es in Österreich ja praktisch - noch - nicht) muss die Beschäftigung mit dem heutigen ORF und seinem Programmangebot auch die Entwicklungen in Deutschland im Auge haben.
In der Hamburger "Zeit" fand im September mehrere Wochen lang eine hochqualifizierte, engagierte Kontroverse über den Niedergang des öffentlich-rechtlichen Runfunks ("Die Quoten-Idioten") statt. In dieser Auseinandersetzung waren viele der Argumente die gleichen wie in der Diskussion hierzulande. Doch es gab auch eine Verteidigung der Öffentlich-rechtlichen: Diese könnten - so das Argument - "nicht bloß auf Qualität im Sinn eines Minderheitenprogramms setzen - das wäre Selbstmord". Die Alternative heiße also nicht "Quote oder Qualität" sondern: "Quote mit Qualität oder Tod". Denn auch öffentlich-rechtliche Medien müssten sich am Markt bewähren - genauso wie die Kommerzsender.
Keine Frage, dass diese Diskussion genau so (und genauso intensiv) um den ORF zu führen ist. Das Problem dabei: Der ORF hat noch zusätzlich ein massives (partei)politisches Problem. Denn neben der Frage, wie stark Boulevard, Banalität, Kommerz (inklusive Schleichwerbung), Quote und so weiter das Programm des ORF bestimmen, kämpft die heimische Sendeanstalt immer noch mit der krakenhaften Umarmung durch die Parteien.
Parteien-Erbpacht Die schwarzblauen Verhältnisse, die seit Februar im Lande herrschen, haben an dieser Tatsache nichts geändert - außer dass andere politische Farben en vogue sind wie noch vor Jahresfrist. Aber solange das ORF-Kuratorium sich als eine Erbpacht der Parteisekretariate darstellt, bleibt jede Diskussion um die Qualität des ORF-Programms ein Scheingefecht.
Leider wird diese Verbindung in der aktuellen Diskussion um ein neues ORF-Gesetz, das demnächst vorliegen soll, kaum angesprochen. "Der ORF hat Atemschwierigkeiten." Mit diesen Worten beschreibt auch Kirchenkurator Franz Küberl diese gefährliche Umarmung des ORF durch die Parteien: "Die Leine zwischen ORF und Politik muss länger werden", fordert Küberl und denkt laut darüber nach, für Kuratoriumsmitglieder eine "Politikerklausel" zu fordern, nach der ORF-Kuratoren vor ihrer Bestellung vier Jahre lang kein politisches Amt ausüben dürfen.
Ob dieser Vorschlag realistisch ist? Der gelernte Österreicher bleibt skeptisch, denn die Versuchung der Parteien, sich den ORF einzuverleiben, ist mindestens ebenso groß wie jene des ORF, nur auf Quote und Geld zu schielen. Misstrauische Zeitgenossen empfinden die derzeitige Diskussion um die Qualität des ORF-Reality-TV sogar als Verschleierung, hinter der an einem - für die Parteien weiterhin günstigen - ORF-Gesetz gebastelt werden kann.
Ob Parteisekretariate mehr oder weniger offen, durch verschwiegene Telefonate oder auf andere Weise eingreifen: Die Parteienabhängigkeit des ORF erlaubt keine geradlinige Diskussion des Programmauftrags im Zeitalter von "Big Brother" und "Taxi Orange" und kann auch die unbeeinflusste Berichterstattung über Österreichs Innenpolitik nicht gewährleisten.
Letztlich gehört es zu den Minimalanforderungen für das Funktionieren der heimischen Demokratie, dass der ORF kein "Westenthaler-TV" oder "Khol-Fernsehen" wird (ebenso wie er - als andere die Macht noch in Händen hielten - kein "Rudas-Rundfunk" sein sollte).
Damit das nicht passiert, müssten die Parteien vom ORF fern gehalten werden. Das ist jedoch nur durch ein diesbezüglich rigoroses ORF-Gesetz möglich. Doch bei der Neuformulierung desselben haben eben jene Parteisekretariate, deren Einfluss zu beschneiden ist, mehr als ein Wort dreinzureden.
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