Die Medien und der Absturz von MH 17

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Grazer Studenten haben sich im Zuge eines Lehrgangs mit der medialen Darstellung des Krieges in der Ukraine beschäftigt. Die FURCHE veröffentlicht ihre Erkenntnisse in loser Folge. Teil 1 beschäftigt sich mit dem Absturz einer Passagiermaschine über der Ostukraine.

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Grazer Studenten haben sich im Zuge eines Lehrgangs mit der medialen Darstellung des Krieges in der Ukraine beschäftigt. Die FURCHE veröffentlicht ihre Erkenntnisse in loser Folge. Teil 1 beschäftigt sich mit dem Absturz einer Passagiermaschine über der Ostukraine.

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Einfach verschwunden! Um 13.20 wurde der letzte Funkspruch empfangen - dann war Stille. Der Flug der Malaysia Airlines MH17 am 17. Juli des Vorjahres von Amsterdam mit Ziel Kuala Lumpur endete in einer Katastrophe mit 298 Toten. Und noch immer gibt es keine endgültige Antwort dafür, was die Ursache für den Flugzeugabsturz der Passagiermaschine bei Donezk in der Ostukraine war. Schuldige wurden jedoch schnell gefunden. Auf beiden Seiten.

Dünne Faktenlage

Trotz der dünnen Faktenlage gab es sofort Spekulationen und Schuldzuweisungen, auch in den Schlagzeilen der österreichischen Zeitungen am Tag nach dem Unglück. Während die Salzburger Nachrichten ("Wurde Maschine der Malaysia Airlines abgeschossen? Prorussische Separatisten und Ukraine beschuldigten sich gegenseitig"), der Kurier ("Abgeschossen? Malaysische Boeing über Ukraine abgestürzt") und die Kleine Zeitung ("Absturz oder Abschuss?") die Abschuss-These noch vorsichtig mit Fragezeichen versahen, lehnten sich die großen Boulevard-Zeitungen deutlich weiter aus dem Fenster. "Schossen Russen Urlaubsflieger ab?" fragte etwa die Kronen Zeitung, während die Zeitung Österreich den Täter gleich auf Seite eins lieferte: "Ukraine-Krieg: Rebellen schießen Urlaubsflieger ab".

Zu jenem Zeitpunkt natürlich reine Spekulation - schließlich befand sich die Absturzstelle mitten im umkämpften Krisengebiet und der Zutritt war auch für die ermittelnden Absturzexperten kaum möglich. Aber Anlass für Unsicherheit ab es genug: denn im April 2014 war aus den schwelenden Ukraine-Unruhen ein "heißer Konflikt" zwischen der Ukraine und pro-russischen Separatisten geworden. Es wurde also scharf geschossen - und zwar auf beiden Seiten.

Berichte vom Ort des Geschehens hängen unter anderem von der Nähe der Medien zu den jeweiligen Konfliktparteien ab, wie der Grazer Journalist Herwig Höller meint: "Ukrainische Medien haben extreme Probleme, aus der Region zu berichten. Für ukrainische Kollegen, die nicht für die selbsterklärten 'Volksrepubliken' arbeiten, gelten Recherchen in den von Rebellen kontrollierten Teilen der Ostukraine nahezu als lebensgefährlich", so Höller, der 2014 intensiv über den Ukraine-Konflikt für die APA berichtete. "Westliche Journalisten, aber insbesondere auch Journalisten aus Russland, können sich unabhängig von der Blattlinie ihres jeweiligen Mediums sehr viel freier bewegen. Für russische Medien waren deshalb Reportagen vom Absturzort deutlich leichter möglich."

Ein Abschuss der Maschine galt bald als wahrscheinlichste Variante, die Schuldfrage wurde jedoch - kaum überraschend -von den Konfliktparteien völlig konträr beurteilt: "Ukrainische Medien gaben, nicht viel anders als jene in der westlichen Welt, prompt den Aufständischen und deren russischen Unterstützern die Schuld. Russische Medien setzten hingegen eher auf die Darstellung, dass ein ukrainisches Kampfflugzeug geschossen hätte", schildert Höller. Er beobachtete jedoch auch russische Medien, die der amtlichen Version nicht folgten, zumal offizielle russische Erläuterungen zur Causa, etwa vom Generalstab, "alles andere als plausibel" waren. Höller: "Auch liberale Moskauer Medien wie der Fernsehsender Doschd, die Tageszeitung Wedomosti, die Zeitung Nowaja Gaseta, deren redaktionelle Linie nicht vom Staat kontrolliert wird und die nach professionellen journalistischen Kriterien arbeiten, präferierten daher relativ schnell die ukrainische und westliche Lesart der Katastrophe."

Schuldzuweisungen

Anders sei die Sicht der Bevölkerung in Russland und die veröffentlichte Meinung der offiziellen russischen Medien, berichtet Thomas K., Angestellter eines großen steirischen Unternehmens, der seit Jahren zwischen Graz und Russland pendelt: "Die russische Bevölkerung geht davon aus, dass die ukrainische Regierung hinter dem Flugzeugabsturz steckt. Sie vertritt komplett die Meinung ihres Präsidenten. Die Russen merken, dass die Ukraine [Anm.: Ein selbständiges Land wie die Ukraine kann sich nicht von Russland abspalten] den westlichen Weg einschlägt, also immer mehr zu Europa tendiert und sich damit von Russland abwendet. Für sie sind aber die USA hier die treibende Kraft, warum die Ukraine Russland den Rücken kehrt."

Natürlich interessiere man sich in Russland für die Einschätzungen des Auslandes, schildert K., der sich wegen seiner beruflichen Tätigkeit in Zurückhaltung übt: "Bei meinen Aufenthalten in Russland werde ich immer nach meiner Meinung gefragt beziehungsweise was 'wir', also Österreich und Europa, darüber denken. Ich versuche hier immer so diplomatisch wie möglich zu antworten und mich auf keine Seite zu stellen. Man würde das in Russland auch zu spüren bekommen, wenn man falsche Antworten gibt. Ich halte mich also eher raus und versuche, das Thema zu wechseln."

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