Nach der Empörung über die Drohgebärden Nordkoreas wäre eine nüchterne Analyse nötig: Wie gefährlich ist das Regime wirklich?
Die weltweite Empörung und Entrüstung über den jüngsten nordkoreanischen Atomtest droht den Blick auf die militärstrategische Bedeutung dieses Vorganges zu verdecken. Es ist gewiss nicht falsch, auf diplomatischer Ebene nach angemessenen Reaktionen zu suchen. Aber zu viel Aufregung kann kontraproduktiv wirken und letztlich - wie schon mehrere Male zuvor - das Ziel verfehlen, die Machthaber in Pjongjang zur Vernunft zu bringen. Eine langfristige Politik muss das wahre Drohpotenzial der Nordkoreaner nüchtern einschätzen und sich damit gleichsam immunisieren gegen die immer offenkundigeren Erpressungsversuche.
Gewiss wirkt die Tatsache spektakulär und auch beunruhigend, dass die Explosion vom Montag im Gegensatz zu jener vom Oktober 2006 wesentlich näher an der vollen Sprengkraft gelegen hat, welche mit dem vermuteten Materialaufwand erzielbar ist. (...) Aber auch der neueste Test sagt noch nichts aus über den militärischen Wert, den solche Sprengkörper haben. Es ist sehr gut möglich, dass Nordkorea von einer einsatzfähigen Atombombe noch ein beträchtliches Stück entfernt ist.
Waffenfähiges Plutonium
Waffenfähiges Plutonium ist leicht herzustellen, aber nur sehr schwierig zur Explosion zu bringen. Eine Komprimierung des Plutoniums zur überkritischen Masse bedingt die hochpräzise Zündung von äusserst komplex aufgebauten Sprengmitteln. Hinzu kommt, dass solche Bomben eine gewisse Grösse und ein ziemlich hohes Gewicht haben, was ihren militärischen Einsatz begrenzt. Die Frage stellt sich also immer gleich auch, ob ein Land wie Nordkorea überhaupt in der Lage ist, Atomwaffen mit entsprechenden Trägermitteln in ein Ziel zu bringen. Es deutet einiges darauf hin, dass dies nicht der Fall ist. (...) Aber angenommen, Nordkorea verfügte über einsatzfähige, zuverlässige und leichte Atomwaffen. Das Land müsste zur Untermauerung seiner Drohgebärden auch die entsprechenden Trägermittel haben. Dies ist zurzeit nicht der Fall. Zwar wird intensiv mit Raketen gepokert, und immer neue Versuche sollen zunehmende Reichweiten und Nutzlasten suggerieren. Tatsache ist aber, dass alle ballistischen Missile im nordkoreanischen Arsenal auf einer veralteten fossilen Technik mit Flüssigtreibstoffen beruhen, die ursprünglich aus sowjetischen Scud-Raketen hergeleitet wurde. Ein gewisses Drohpotenzial bleibt natürlich bestehen. (...) Doch der Transport, das Bestücken mit einem atomaren Sprengkopf, das Auftanken und Kalibrieren solcher Waffen ist aufwendig, riskant, braucht geraume Zeit und ist dadurch mit modernen Aufklärungsmitteln auch relativ leicht zu entdecken. Einfacher einzusetzen wären solche Missile mit chemischer Bewaffnung, von der Nordkorea ein beträchtliches Arsenal besitzt. Aber deren politisches Prestige ist nicht vergleichbar mit jenem von Nuklearwaffen. Nordkorea pokert und blufft. Keinem andern Zweck dienen die atomaren Drohgesten. Militärisch sind sie noch einige Zeit nicht ernst zu nehmen, und deshalb muss im Mittelpunkt der Bemühungen die Frage stehen, wie man dies den Machthabern in Pjongjang kommuniziert.
Pokern mit den USA
Dort will man primär mit den Amerikanern ins Geschäft kommen und von diesen anerkannt werden. Ob man in Washington das durchsichtige Katz-und-Maus-Spiel erneut mitmachen wird, ist kaum anzunehmen. Weil die nukleare Option militärisch aber keinen Sinn ergibt, wird die Lösung auf politischer Ebene gesucht werden müssen. Dies freilich ist ein anderes, nicht minder frustrierendes Unterfangen.
* "Neue Zürcher Zeitung", 27. Mai 2009
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