Die Starken und die Zerbrechlichen

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2006 gewann Jasmila Žbani´c mit ihrem Erstling "Grbavica" in Berlin den Goldenen Bären. Nun widmet die Diagonale der Bosnierin eine Personale.

Ich habe Jasmila 1996 in Sarajewo getroffen, als ich dort eine Doku drehte", erinnert sich die österreichische Regisseurin Barbara Albert zurück. "Seither verbindet uns eine tiefe Freundschaft und eine intensive Arbeitsbeziehung." Žbani´c hatte damals der recherchierenden Filmakademie-Studentin Albert einen Schlafplatz angeboten. Bereits kurze Zeit danach hatten die beiden jungen Filmemacherinnen die Idee, einen gemeinsamen Langfilm zu drehen - und knapp zehn Jahre später wurde das Ergebnis der Zusammenarbeit, "Grbavica", zum größten Kritiker-Erfolg der Berlinale.

Jasmila Žbani´c war ein Teenager, als der Krieg begann, Sex war neu und aufregend und positiv. "1992 änderte sich alles. Ich realisierte, dass ich einen Krieg erlebte, in dem Sex eine Strategie war, Frauen zu erniedrigen", sagt die Regisseurin. Žbani´c selbst war keine der 20.000 Frauen, die während des Krieges in Bosnien systematisch vergewaltigt wurden. Doch das Thema ließ sie nicht los - und es wurde zum Ausgangspunkt ihres ersten abendfüllenden Films.

Esmas Geschichte

"Grbavica", der Titel des Films, ist ein Stadtteil in Sarajewo, durch den die Frontlinie verlief. Hier lebt Jasmila Žbanic - und hier lebt auch Esma, die Protagonistin der Geschichte, gemeinsam mit ihrer Tochter Sara. Doch wie erklärt man einer lebenshungrigen 12-Jährigen, dass ihr Vater kein Kriegsheld war - sondern ein brutaler Vergewaltiger, einer von vielen, in einem serbischen Kriegsgefangenenlager?

Vor dem Krieg hatte Esma Medizin studiert, doch jetzt kommt sie als Schneiderin und Kellnerin nur knapp durch, und der monatliche Zuschuss vom Sozialzentrum reicht auch nicht weit. Für einen Schulausflug ist wieder einmal eine größere Summe fällig. Die Kinder von Kriegshelden müssen weniger zahlen, und Sara fordert von ihrer Mutter die schriftliche Bestätigung, dass ihr Vater ein Held war, wie Esma ihr all die Jahre erzählt hat.

Doch die Bestätigung gibt es nicht. Esma wollte ihrer Tochter die schmerzhafte Geschichte ihrer Herkunft ersparen, wollte ihr nicht sagen, was sie ihr dann im Streit an den Kopf wirft: Sara ist der Bastard eines serbischen Vergewaltigers. Nicht gewollt, gefürchtet, und dann doch so zart und schön und zerbrechlich. Wie geht ein Kind mit einer solchen Wahrheit um?

"Grbavica" entstand in Zusammenarbeit zwischen Jasmila Žbanic und der österreichischen Produktionsfirma coop99. Für einen Langfilm war in Bosnien allein nicht genug Geld aufzutreiben, so war die Kooperation mit Barbara Albert und der coop99 nahe liegend für Žbanic. Gemeinsam entwickelten die beiden in langen Gesprächen das Drehbuch. Die Recherche für den Film war schmerzhaft, Žbanic sprach mit vergewaltigten und missbrauchten Frauen.

"Das Sprechen darüber ist ein riesiges Tabu und die Frauen sind teilweise auch von ihren Familien geächtet - da ist es ganz schwierig, überhaupt Zugang zu finden", erzählt Albert. "Jasmila war auch in Waisenhäusern und hat versucht, dort Laiendarsteller zu finden für die Rolle der Tochter." Žbanic entschied sich dann aber für ein Mädchen, das weniger verstrickt war in diese Geschichte ist, um das Kind nicht unnötig zu belasten.

Außerordentlich klare Bilder

Gemeinsam mit der Wiener Kamerafrau Christine Maier, die auch Barbara Alberts Erfolg "Nordrand" gefilmt hat, hat Žbanic die triste Geschichte in außerordentlich klare Bilder gekleidet, eine unaufgeregte Bildsprache, die die Mutter und ihre Tochter in den Vordergrund holt. Sie umreißt damit eine Gesellschaft, in der ungesühnte Kriegsverbrechen direkt unter der Oberfläche dräuen.

Jasmila Žbanic wurde 1974 in Sarajewo geboren und studierte während des Krieges Regie an der dortigen Hochschule für Darstellende Kunst. 1995 ging sie in die USA und arbeitete als Puppenschauspielerin, zwei Jahre später kehrte sie zurück und gründete die Filmproduktionsfirma Deblokada. Sie schrieb mehrere Drehbücher und führte Regie bei einer Reihe von kurzen Arbeiten, die - neben "Grbavica" - nun größtenteils auf der Diagonale zu sehen sein werden.

Der Krieg ist für die Regisseurin unvermeidliches Leitmotiv in ihrem Schaffen. Ihre Kurzdokus und Kurzspielfilme, die immer wieder im kriegsversehrten Sarajewo spielen, begleiten oft Kinder in die Schule, entlang von zerbombten Häusern, eilig erweiterten Friedhöfen, Mauern mit Einschlusslöchern.

Da erzählt etwa die siebenjährige Belma, schwer traumatisiert, in der Doku "Poslije, Poslije" ("Später, später", 1997) davon, wie sie die Besatzung durch die serbische Armee erlebt hat. Ein Klassenkamerad von ihr berichtet, wie er die Gräber seines Vaters, seiner Mutter, seiner beiden Onkel am Wochenende besucht. Ein anderer ist nur knapp einer Bombe entkommen. Ein Ernst ist bei diesen Kindern, der Siebenjährigen fremd sein sollte.

Gebrannte Kinder

Doch es sind auch weniger ernste Menschen, die Žbanic porträtiert und die immer vor dem Hintergrund des Krieges erzählen: Die beiden muslimischen Brüder Sead und Nihad möchten einen Film über sich selbst und ihre Freunde machen, während des Fastenmonats Ramadan. Es wird ein Film über das Wesen des Lichts: Straßenlaternen, Sterne, Feuerwerk. Und das Licht in den Menschen.

Ganz schwer zu ertragen ist die Geschichte von "Crvene gumene cizme" ("Rote Gummistiefel", 2000): Eine Mutter sucht nach den sterblichen Überresten ihrer beiden Kinder, dem vierjährigen Amar und der neun Monate alten Ajla. Die Kinder wurden von der serbischen Armee gekidnappt und getötet und vermutlich in einem Massengrab verscharrt. Mit Hilfe der staatlichen Kommission für die Suche nach vermissten Personen kratzt die Mutter der beiden toten Kinder jede verfügbare Information zusammen und besucht ein Massengrab nach dem anderen - in der Hoffnung, die roten Gummistiefel zu finden, die ihr Sohn bei der Entführung getragen hatte, und damit die Gewissheit, ihre Kinder betrauern zu können.

Jasmila Žbanic, die große, blonde Regisseurin mit dem breiten Lächeln, der markanten Brille und der sanften Stimme, ist ein gebranntes Kind wie ihr ganzes Land. Und es ist gut, dass sie diesen Beruf ergriffen hat: Es werden noch viele Filme nötig sein, um zu begreifen, was wirklich passiert ist - und um dieses gigantische Trauma einer Generation zu überwinden.

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