Die Tode aus Österreich

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Beim 61. Filmfestival Locarno gewann der Tiroler Dramatiker Händl Klaus den Silbernen Leoparden für sein Erstlingswerk „März“.

Da, mitten unter dem Kuchenbacken, bricht es aus dieser stets auf Contenance bedachten Frau heraus: „Er hat mich auch umgebracht.“ So weint eine Mutter um ihren toten Sohn, und es ist Anklage und Trauer zugleich, die sich hinter ihrer Schürze all die Monate angesammelt hat und die in diesem Moment zum ersten Mal hervorbrechen kann. Ziemlich spät in „März“, dem Erstlingsfilm des Tiroler Dramatikers Händl Klaus, kommt dieser erlösende Schrei aus der Seele einer Frau, die in ihrer konservativen Umwelt bisher lieber stumm geblieben ist.

Vom Umbringen

„März“, beim 61. Filmfestival von Locarno gerade mit dem Silbernen Leoparden für den besten Erstlingsfilm prämiert, fängt aber nicht nur die Trauerarbeit einer Mutter in recht improvisiert wirkenden Digitalbildern ein, sondern gleich die eines ganzen Dorfes: Drei Jugendliche haben sich eines Abends in ihren PKW gesetzt, zuvor das Auspuffrohr ins Wageninnere geleitet und den Motor gestartet. Ein Gruppen-Selbstmord, der tatsächlich vorgefallen ist, und der Händl Klaus dazu inspirierte, den apathischen Zustand danach abzubilden. Die jungen Männer hatten kein Motiv für ihre Tat, hinterließen keinen Abschiedsbrief. Was bleibt, ist Schweigen, Ratlosigkeit, das Festklammern am Alltäglichen.

Die Hinterbliebenen erleben in dieser Tiroler Dorfwelt die Monate nach dem Selbstmord ihrer Kinder als Leere, die sie mit einem gedämpft verlaufenden Alltag zu füllen suchen. Doch das Leiden wird für sie zunehmend zum Horrortrip. Ein Horrortrip des Alltäglichen.

Händl Klaus fängt diese Stimmung mit einem scharfen Blick auf ländliche soziale Strukturen ein, und die Düsternis seines Filmexperiments war der Jury eine Belohnung wert, auch, oder gerade weil sich Händl einer überaus spröden Filmsprache bedient. Er sagt: „Mein Film kommt dem Zuschauer sicher nicht entgegen. Aber er berührt.“

Für den österreichischen Film bringt „März“ einmal mehr die Schärfung seiner internationalen Wahrnehmung als Trägermedium für Geschichten vom Tod, „der im österreichischen Film omnipräsent zu sein scheint“, wie die Süddeutsche konstatierte.

Auch die beiden anderen heimischen Produktionen, die in Locarno (außerhalb des Wettbewerbs auf der 8000 Zuschauer fassenden Piazza Grande) zu sehen waren, gilt das: Andreas Prochaska schuf ein gänzlich sinnfreies Sequel zu seinem Horrorfilm „In 3 Tagen bist du tot“, in dem Sabrina Reiter wieder vor Psychopathen flüchtet. Diesmal freilich vorwiegend in Unterwäsche, denn der Sex-Faktor spielt beim hier kopierten US-Mainstream-Horror eine entscheidende Rolle. Wenn schon in großem Stil gestorben wird, dann wenigstens mit einem optischen Zuckerl versüßt.

Und auch in „Nordwand“, dem Alpin-Blockbuster von Philipp Stölzl, wird gestorben: Diese deutsch-österreichische Koproduktion über die gescheiterte Erstbesteigung der Eiger Nordwand im Jahr 1936 ist zuallererst Event-Movie. Benno Fürmann läuft am Seil hängend ob der Kälte schwarz an, nachdem sich Simon Schwarz und Georg Friedrich bereits in die Tiefe verabschiedet haben – ein Berg-Spektakel der großen Bilder, auch inspiriert vom deutschen Bergfilm der 30er Jahre. Doch „Nordwand“ reduziert sich freiwillig auf Unterhaltungskino, weil er die einstige NS-Glorifizierung der Berghelden nur am Rande streift. Dabei wäre gerade das der interessanteste Aspekt dieses Dramas gewesen.

Der „Goldene Leopard“ des Festivals ging unterdessen an den jungen Mexikaner Enrique Rivero für „Parque via“. Ein alter Indio bewacht in Mexiko-Stadt eine jahrelang leerstehende Luxusvilla, die ihm zum Lebensinhalt wird. Dramatisch die Konsequenzen für ihn, als das Haus doch noch verkauft wird. „Parque via“ ist formal streng entworfene Sozialkritik.

Prämierte Sozialkritik

Davon gab es bei diesem Festival reichlich: Ein besonderer Höhepunkt sozialkritischer, filmdramatischer Verdichtung ist die Doku „La Forteresse“ des Schweizers Fernand Melgar (Goldener Leopard Filmmakers of the Present): Er folgt Asylwerbern durch das 60-tägige Asylverfahren, an dessen Ende ihr Flüchtlingsstatus anerkannt oder abgelehnt wird. Selten hat ein Dokumentarfilm eine solche Sogwirkung entfaltet. Melgars fragmentarische Beobachtungen bleiben stets zweideutig: Wessen Schutz dient nun die Abschottung der Asylanten hinter dem Stacheldraht? „La Forteresse“ schafft ein vollendetes Filmerlebnis, weil es unvollendet erzählt: Der aufgewühlte Zuschauer kann sich dem Thema selbst hernach nicht mehr entziehen.

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