Die Überwindung der Distanz

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Zu Beginn war es bloß ein Zeitungslockvogel. Jetzt stehe ich fest zum mobilen Partner: Das Handy hat mein Kommunikationsleben ordentlich verändert.

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Zu Beginn war es bloß ein Zeitungslockvogel. Jetzt stehe ich fest zum mobilen Partner: Das Handy hat mein Kommunikationsleben ordentlich verändert.

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Schon geraume Zeit bin ich ein Handy-Mann. Ja, ich darf mich rühmen, bereits in der Anfangszeit der GSM-Handys reüssiert zu haben. Angeblich kundige Bekannte versichern mir, dies würde schon meine Mobiltelefonnummer dokumentieren, denn mit deren Anfangsziffern "100" würden nur wirkliche Freaks aus der Frühzeit bedacht sein: Wenn ich meine Handy-Nummer weitergebe, so erlebe ich ein Heben der Augenbrauen und jenen Blick, der nicht anders zu deuten ist als: "Das ist aber ein alter Handy-Hase!" Zumindest bilde ich mir das ein; und ein kompetenter Zeitgenosse - am Pulsschlag der Technik, auf der Höhe der Zeit - will ich schon immer werden.

Daß ich der mobilen Telefonie erliege, gestehe ich allerdings erst seit kurzem offen ein: Meine Karriere als Handy-Mann begann im verborgenen. Denn zum Freiluft-Telefonierer wurde ich durch das Bestellen einer jener Zeitschriften, die das Zaudern präsumptiver Abonnenten durch die Lockungen eines Handys zum Kaufimpuls wandelten. Ich gestehe zwar nur hinter vorgehaltener Hand, derart plumpen Werbetricks auf den Leim gegangen zu sein, aber auf einmal war ich zweierlei: Abonnent und Handy-Mann.

Das Abonnement besagter Zeitschrift habe ich heute noch. Das im gleichen Atemzug erworbene Handy besitze ich hingegen nicht mehr. Denn jenes Modell, welches die Werber mir da verscherbelten, war nicht das beste: nur im berg- und hügelfreien Terrain konnte ich mobil kommunizieren, von Häusern gar nicht zu reden: jedes Mäuerchen machte aus dem begehrten Apparat ein totes Stück Elektronik, dem auf dem Display allenfalls ein "Kein Empfang ihres Netzes" entschlüpfte.

Nicht nur wegen des Marketingtricks der Zeitschriftenleute, dessen Erfolg ich am liebsten verschleiere, waren die ersten Jahre jene der verborgenen Handy-Existenz. Denn auch mein Bekanntenkreis hätte an meiner political correctness gezweifelt, wäre mein Mobilkommunikator ruchbar geworden: Der Technik, dem Fortschritt, der Kommunikationsglobalisierung sei doch vorerst mit Mißtrauen zu begegnen, man wisse nicht, ob die großen Lauschangriffe nun noch leichter kommen, ob die Funkstrahlung nicht doch lebensgefährlich sei, und ob man selbst nicht absolut und immer verfügbar werde: Privatheit ade, der Große Bruder habe endgültig Zugriff, und krank mache das Ganze obendrein. Was hätte ich gegen die guten Gründe meiner Freunde ausrichten können - mit bloßer Lust, die neue Technik zu kosten und sich am Fortschritt zu freuen?

Mittlerweile sind einige Jahre ins Land gezogen, und selbst eingefleischte Handy-Abstinenzler gestehen, ihrer eigenen Ablehnung untreu zu werden.

Global. Geschwätzig. Wenn diese beiden Worte die gegenwärtige Epoche charakterisieren, dann ist das Handy das Zeichen der Zeit. Kommunikation trotz großer Distanzen (bis nach Südafrika oder Australien), als ob man die Nebenwohnung anwählte, wird Wirklichkeit: Als Handy-Mann kann ich die Enfernung als wesentliche Dimension der Kommunikation ad acta legen: Galt früher, je weiter weg, desto schwieriger erreichbar, so besteht die Menschheit heute aus zwei Kategorien: a) Handy-Leute, die überall an den Hörer zu kriegen sind, und b) Kommunikationsverweigerer.

Handy - das ist ein Synonym für die Leichtigkeit, aus Entfernungen virtuelle Distanzen werden zu lassen. Allgegenwart wird Wirklichkeit - und kleine Erlebnisse erfreuen den mobilen Alltag: "Ich steh' grad vor dem Turm von Pisa", tönt es etwa aus dem Mund des Freundes, den ich irgendwo in Wien wähne, der aber real in der Toskana weilt und - mich neidisch machend - über die Schönheiten Italiens schwelgt. Und auch Umgekehrtes: "Kannst du mir bitte morgen diese Sache mitbringen", ruft eine bekannte Stimme an. Schade, daß die gängigen Mobiltelefone keine Bildübertragung haben, denn dann könnte der Anrufer mein schadenfrohes und ich sein verdutztes Gesicht sehen: "Tut mir leid, aber ich liege am Strand auf einer Insel im Atlantik ..."

Der Verlust der Entfernung, den die Handy-Menschen erleben, hat auch Schattenseiten: "Ich hab' einen Herzinfarkt und fahre jetzt ins Spital. Kannst du bitte alles weitere für mich regeln?" Auch dieser Hilferuf kam in die Ferne, doch an der Adria urlaubend kann ich nicht direkt helfen: Enfernungen werden mit Handy im Nu virtuell. Und ebenso schnell und brutal wieder real.

Der Handy-Besitz ist für den Kommunikator dieser Tage dennoch ein existentielles Minimum. Böswillige könnten das kleine Telefon gar bloß als Statussymbol diffamieren, und das nicht nur hierzulande: Ein Besuch im "Why not?", der Disco in Mbabane, der Hauptstadt von Swasiland im südlichen Afrika, läßt auch auf einige mobiltelefonierende Vertreter der örtlichen Hautevolee treffen: Mit wichtiger Miene wird mit dem Gesprächspartner palavert. Doch dieser Kommunikationspartner muß ein virtueller sein, denn Swasiland hat noch kein Mobiltelefonnetz ...

Obige Geschichte ereignete sich vor zwei oder drei Jahren, mittlerweile ist auch Mbabane mit Netz und funktionierenden Handys gesegnet. Zu europäischer Überheblichkeit gibt es dennoch keinen Anlaß, Skurriles ist auch in Wien zu erleben: Man speist bei McDonalds in der Annagasse (fürwahr, ein würdiger Ort für hastige Kommunikation!) und belauscht am Nebentisch den Handy-Dialog: " ... ja, ich sitz' grad im Sacher und zahle, und jetzt steh' ich auf und geh dir entgegen ...", und tatsächlich verläßt der Telefonierer die Fastfoodstätte und zieht von dannen.

Mobile Telefonie bringt neues Leben in die Kommunikationsversuche der Menschen: Der flüchtige Blick in eine Geschäftsstraße Wiens erschreckt - ob der vielen Passanten, die in Selbstgespräche vertieft scheinen; tatsächlich reden diese aber nicht mit sich, sondern - übers Handy - mit irgend jemandem. Irgendwo. Und, ob gebeten oder nicht, immer wieder nehme ich Anteil an fremder Gesprächskultur: Im kommunikationsfördernden Großraumwagen der Bundesbahn erlebe ich hautnah und fünf lange Stunden mit, wie das Elend einer Beziehungskrise von Innsbruck nach Wien eskaliert - er, gebrochen, läßt den ganzen Waggon am Unglück teilhaben, doch sie (am andern Ende der Handy-Verbindung) lenkt nicht ein, obwohl alle Mitreisenden sehnlichst wünschen, die zwei mögen einander wieder finden oder zumindest: die Batterie des Mobiltelefons werde leer.

Seit kurzem bin ich stolzer Besitzer eines neuen Mobilkommunikators: Das via Zeitungsabo zugelegte Handy entsprach meiner Weltläufigkeit nicht mehr. Und so wurde das beste, aus Nordeuropa stammende Produkt auf dem Markt mein eigen. Jetzt ist die Erreichbarkeit tatsächlich beinahe universal und total - und aus jeder Situation kann mich das freche Ding nun herausläuten. Was es auch tut.

Das ist, was ich wirklich fürchte: Daß das Handy losbrüllt, wo Ruhe und Stille angesagt ist. Doch auch hier paßt sich die Lebenskultur der Realität an, wie eine - aus Ungarn kolportierte - Geschichte zum Thema zeigt: Dort ging - während einer Beethovensymphonie - im Konzertsaal ein Handy los. Der peinlich betroffene, schuldige Konzertgast versuchte panisch, das renitente Läuten abzustellen. Doch der Dirigent hatte das Orchester bereits abgewunken, wandte sich um und bemerkte süffisant: "Heben Sie ruhig ab. Wir warten, bis Sie fertig sind!" - Daß auch mir derartige Episode widerfahren könnte, schreckt mich aber nicht länger, denn: Ich und mein Handy halten selbst in unwirtlicher Lage zusammen. Wer weiß, was wir beide noch alles erleben werden ...

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