Drei Jahre nach Albanien

19451960198020002020

... ermöglicht Österreich Privatfernsehen. Und "reformiert" den ORF per Gesetz.

19451960198020002020

... ermöglicht Österreich Privatfernsehen. Und "reformiert" den ORF per Gesetz.

Werbung
Werbung
Werbung

Seit 5. Juli ist es fix: Österreich hat mit Zustimmung von ÖVP, FPÖ und Peter Pilz nicht nur ein Privatfernsehgesetz und mit Zustimmung der Regierungsparteien und der Grünen ein so genanntes Fernseh-Exklusivrechtegesetz, welches festlegt, dass bedeutende Ereignisse nicht ausschließlich im Pay-TV übertragen werden dürfen. Österreich hat nach Monaten, in denen Gutachten und Gegengutachten, Statements pro und contra, Sitzungen, Runden, Hearings, Enqueten sich mit dem heimischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk beschäftigt haben, auch ein neues ORF-Gesetz. Beschlossen ohne die Stimmen der Opposition - die sich noch in einer recht emotionalen Parlamentsdebatte gegen das vorliegende Gesetz gewandt hatte - und damit nicht in der von der Regierung gewünschte verfassungsmäßigen Verankerung. Unausgegoren sei es, so der Mediensprecher der SPÖ, Josef Cap, die Regierung wolle die Unabhängigkeit des ORF beseitigen, die angekündigte Entpolitisierung des Stiftungsrat sei schlichtweg nicht wahr und die Befürchtung der Zensur durch den Stiftungsrat nicht von der Hand zu weisen. In ihm säßen nämlich künftig durchaus "Vertrauensleute" der Regierungsparteien, die auf Knopfdruck das machten, was diese wollten. Die Einschränkung der Werbung bei gleichzeitiger Forderung nach anspruchsvollem Programm wiederum werde die Gebühren notwendigerweise in die Höhe schrauben.

Keine Spur von Entpolitisierung ortete auch seine Parteikollegin Andrea Kuntzl bei der Besetzung des Stiftungsrates, dem mehr Kompetenzen - etwa bei Programm- und Personalentscheidungen - als dem bisherigen Kuratorium zugestanden werde. Tatsächlich sieht das Gesetz vor, dass keiner der künftigen 35 Stiftungsräte eine politische Funktion haben darf, dass Bundesregierung, Bundesländer, Parlamentsparteien, Zentralbetriebsrat und die in Publikumsrat umbenannte Hörer- und Sehervertretung ihre Vertrauenspersonen in gleicher Zahl wie bisher entsenden dürfen. Letzterem werden übrigens 35 Mitglieder angehören, sechs von ihnen sollen von Hörern und Sehern direkt gewählt werden können - mittels "telefonischer Stimmabgabe, via Internet oder technisch vergleichbare Einrichtungen" präzisiert das Gesetz. Allen Stiftungsräten gemeinsam obliegt es, den Generaldirektor des Unternehmens zu bestellen, mit einfacher Mehrheit, auf fünf statt wie bisher vier Jahre.

Unzufrieden mit dem neuen ORF-Gesetz sind auch die Grünen. Madeleine Petrovic fürchtete um den Fortbestand von Radio Österreich International (ROI), das der ORF bisher im Auftrag und auf Rechnung des Bundes veranstaltet hat, in der Neufassung des Gesetzes dazu aber nicht verpflichtet ist. ROI kann vom ORF als Radioprogramm auf eigene Rechnung betrieben werden - muss aber nicht. Hier reklamierten die Grünen statt eines "kann" ein "hat" in den Gesetzestext um den Betrieb zur Pflicht zu machen.

Wie ihre Oppositionskollegen zweifelt auch Petrovic an der Unabhängigkeit des Aufsichtsgremiums, "Schall und Rauch" sei die Unvereinbarkeitsklausel für Politiker im Stiftungsrat. Dort seien die Mehrheitsverhältnisse bereits vorprogrammiert, assistiert Peter Pilz, der die Umwandlung der öffentlich-rechtlichen Anstalt in eine Stiftung öffentlichen Rechts durchaus begrüßt, die Art der Stiftungsrätebestellung aber für weniger sinnvoll hält.

Naturgemäß anders als die Opposition, die Regierungsparteien. "Jetzt ist Schluss mit Rotfunk, jetzt gibt es den Österreichischen Rundfunk," repliziert FP-Klubobmann Westenthaler auf Vorhaltungen, den ORF eher ver- denn entpolitisieren zu wollen.

"Akt der Befreiung" nennt der für das Gesetz zuständige Staatssekretär Franz Morak die Neuerung. Freier werde der ORF mit diesem Gesetz, ist auch Bundeskanzler Schüssel überzeugt: "Freier und stärker, auch innerlich stärker" werde es doch keine "Mauschelgeschäfte" mehr geben. Zudem garantiere Paragraph 4 Abs. 6: "Unabhängigkeit ist nicht nur Recht der journalistischen oder programmgestalterischen Mitarbeiter, sondern auch deren Pflicht. Unabhängigkeit bedeutet Unabhängigkeit von Staats- und Parteieneinfluss, aber auch Unabhängigkeit von anderen Medien ..."

Auch besser solle der ORF werden, dafür wurden beim Programmauftrag zusätzlich Forderungen formuliert. Etwa die angemessene Berücksichtigung der Anliegen von Familien, Kindern, Behinderten, Gehörlosen, heimischen Volksgruppen sowie der Gleichberechtigung von Männern und Frauen, Umwelt- und Konsumentenschutz ...

Nicht näher präzisiert wurde der Begriff "anspruchsvolles Programm", das der ORF in den Hauptabendprogrammen "in der Regel zur Wahl stellen" muss. "Gummiparagraph" apostrophieren die Grünen diesen Passus dann auch, von dem sich der ORF in der "Programmfreiheit eingeschränkt" fühlt.

Widersprüchliche Ansichten gibt es auch zum Thema Werbebeschränkungen im ORF. Während SP und ORF-Führung fürchten, der ORF werde mit weniger Werbegeld seinen Programmkatalog nicht erfüllen können, spricht die jüngst veröffentlichte Rekordbilanz für Bundeskanzler Schüssel eine andere Sprache: Er stehe zu den Einschränkungen bei der Werbung.

Und in Richtung der Kritiker: "Jeder, der behauptet, durch dieses Gesetz wird der ORF geschwächt, kann keine Bilanz lesen."

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung