Ein Fest für das Körpertheater

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"ImpulsTanz 2006": einen Monat lang war Wien

das Europa-Zentrum der Bewegungskunst.

Eine Tänzerin, halbnackt, hebt den Arm, nachdem eine männliche Gestalt, vorüber huschend, wieder im Dunkel verschwunden ist. Leer ist die Theaterbühne: Keine Weintraube scheint zur Hand. Und doch ist dieser Nachmittag eines Fauns erfüllt von einer inneren Musik - jede Geste, jede Pose des halb aufgestützten Oberkörpers von Intensität und Grandezza, die die Phantasie fliegen lassen ...

Die Rede ist von Anne Teresa de Keersmakers D'un soir, un jour, dem Eröffnungsspektakel des heurigen "ImPulsTanz"-Festivals im Burgtheater: ein rekonstruiertes Stück Tanz aus dem Jahr 1912, das auf Claude Debussy, auf das legendäre "Ballets Russes" und dessen Startänzer Vaclav Nijinskij zurückgeht. Die Choreografin verwandelt es, vergegenwärtigt es auf ihre Weise; verortet es auf einer Bühne, die sich der Flächigkeit des Originals entledigt hat. Doch das so "dekonstruierte" Memorial büßt dabei auch seine rohe Sinnlichkeit ein, die es einst zum Skandalon machte. Bar jeden Begehrens sinkt der Mann schlussendlich - ermattet - zu Boden. Was bleibt ihm anderes als der Tanz?

Davon gab es genug bei "ImPulsTanz 2006", wo Keersmakers belgische Startruppe ihre bereits 19. "ImPuls"-Performance zur Aufführung brachte. Seit zehn Jahren ist sie beim sommerlichen Tanz in Wien ohne Unterbrechungen dabei.

75.000 Besucher drängelten sich in vier Wochen in drückend heißen Theatern oder spielten "Kinderspiele" in Seminaren und Workshops: erstarrten in leidenschaftlichem Port de Bras, brüllten Schmerzen in den Raum, uralt wie der Tod, in einem der 175 angebotenen Kurse, geleitet von mehr als 100 Lehrern.

Wien als internationaler "Hot Spot" der modernen Bewegungskunst? - Einen Sommermonat lang sicher. Im Spiegel der Zahlen: In 90 Vorstellungen sah man 45 Produktionen, darunter sieben Ur-und 27 österreichische Erstaufführungen bei 96-prozentiger Auslastung. Damit werden alle anderen einschlägigen Festivals Europas auf die Plätze verwiesen: das alteingesessene "Montpellier Danse" ebenso wie "Tanz im August" in Berlin, die Münchner Tanzbiennale "Dance" oder "Alcatara" in Lissabon.

Der Jubel hat auch insoweit Gründe, als es "ImPulsTanz" gelingt, völlig neue Zuschauerschichten für die Bewegungskunst zu requirieren. Da erlebt selbst der bildungsaktive Bürger, der schon alles zu kennen glaubt, den unglaublich intensiven Moment, und respektable Karrierefrauen verbergen kaum ihr Entzücken, wenn sich Ismael Ivos dunkel glänzendes Wunderwerk eines Körpers auf der Bühne windet.

Was will man mehr? - Nun, manchmal hätte man gern mehr von jener Zutat, die "Wagnis" heißt. Nach Neuentdeckungen lechzt die arme Seele des langjährigen Beobachters, nach akzentuierten Schwerpunkten - etwa unter Berücksichtigung boomender Länder wie China oder Indien. So lehnt man sich manchmal unbeeindruckt zurück im harten Theatersessel, denn das Bewährte ist bewährt, aber nicht neu. Man wünscht sich mehr Dramaturgie oder ein ambitioniertes Filmprogramm als Begleitung. Man wünscht sich eine Lichtgestalt, die geradewegs aus Balzacs "Seraphita" ihren Weg auf die Bühne fände. Doch sie bleibt aus.

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