Ein gurgelnder Kessel kluger Bösartigkeiten

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Vor 100 Jahren wurde Marshall McLuhan geboren. Seine medienkritischen Theorien werden bis heute diskutiert. Der Schriftsteller Douglas Coupland würdigt ihn in einer Biografie.

"Was, wenn er recht hat?“, fragte der Journalist Tom Wolfe 1965 in einem Artikel. Die Frage bezog sich auf Marshall McLuhan, der mit seinen Theorien faszinierte, aufschreckte, anfeindete, spaltete. Vor allem den Wissenschaftsbetrieb. War das überhaupt Wissenschaft, was da so unlinear daher kam - die Typografie in den Büchern ebenso eine Zumutung wie die Thesen?

In vielem hatte er recht, weiß man nun, Jahrzehnte später, und das, obwohl zu jener Zeit, als McLuhan sich Gedanken darüber zu machen begann, wie Medien Menschen und ihre Kultur verändern, von Internet, Handys und Emails noch nichts zu sehen war. Der mediale Strudel begann gerade erst, in dem McLuhan dann versuchte Muster zu erkennen, wie Douglas Coupland in seiner Biografie schreibt. Am 21. Juli 1911 in Edmonton, Alberta, geboren, interessierte sich McLuhan vor allem für englische Literatur, Geschichte und Theologie. Bei seinem Studium in Cambridge lernte er den New Criticism kennen, jene Literaturtheorie, die Autor und Kontexte ignorierte und sich auf den Text stürzte. McLuhan begann Eliot, Yeats und Joyce zu lesen, "Finnegans Wake“ wurde ihm zum "Prüfstein, an dem er nahezu seine gesamte spätere Arbeit maß“.

Das Medium als Massage

McLuhan war nicht das, wozu ihn Technikfreaks gerne machten, nämlich einer von ihnen - ganz im Gegenteil: "Er hasste die moderne Welt und er hasste die Technik, aber das hielt ihn nicht davon ab, mit leidenschaftlichem Interesse zu beobachten, was sie hervorbrachten, und wie ein Besessener zu versuchen, es zu verstehen.“

Selbst wer nie Texte von McLuhan gelesen hat, stolpert heute ständig über Sätze und Ausdrücke, die ihm zugeschrieben werden, etwa jenen vom "globalen Dorf“. (Das Bild hatte McLuhan von Wyndham Lewis). Berühmt ist vor allem McLuhans Erkenntnis "The Medium is the Message“, "Das Medium ist die Botschaft.“ Hinsichtlich der Frage, wie sich der Gebrauch unserer Sinne verändert, ist das Medium (z. B. das Fernsehen) bedeutender als der Inhalt. Selbstironisch erklärte McLuhan das, was zunächst ein Setzfehler war, zum Titel seines 1967 erschienenen Buches: "The Medium is the Massage.“ Eine Massage mit vielen Stichen sind seine Texte. "Selbst ärgste Kritiker müssen zugeben, dass McLuhans Angriffe auf die Konsumkultur sowohl brillante Analysen sind ... als auch ein gurgelnder Kessel kluger Bösartigkeiten.“

McLuhan war kein Hellseher, kein Nostradamus, stellt Coupland fest, sondern ein Denker, der seine Thesen in Sondierungen mit den Studenten ausprobierte und seine Bücher nicht alleine schrieb. Seine Interessengebiete, die Literatur der Renaissance und die Kultur im Medienzeitalter, scheinen nur auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun zu haben. McLuhan promovierte über "Thomas Nashes Rolle im Bildungswesen seiner Zeit“. Nashe verfasste Flugschriften - bediente sich also eines Massenmediums.

Coupland zeichnet in seiner Biografie, in die er unverhohlen (und manchmal mit zu viel Pathos) seine persönliche Begeisterung für den kanadischen Landsmann einschreibt, das Bild eines Mannes, der die Studierenden in seinen Vorträgen wie kaum ein anderer anzuregen wusste, der erst einmal darauf losredete und dann die Fußnoten nachlieferte (so Coupland in einer Fußnote), der sich in Toronto mit Northrop Frye stritt und mehrstündige Nachtgespräche mit Glenn Gould führte, aber der Liberalisierung der Nachkriegszeit ebenso ablehnend gegenüberstand wie der Frauenbewegung. Der 1937 zum Katholizismus Konvertierte war gläubig bis an sein Lebensende, das von Schlaganfällen und Problemen mit dem Gehörsinn begleitet wurde. "Für ihn war die Welt ein von Gott erschaffenes Buch, und er glaubte, dass es darin nichts gebe, das man nicht verstehen könne - und dass es zu unserem eigenen Schaden sei, wenn wir es nicht versuchten.“

Coupland, seit seinem Roman "Generation X“ selbst als "Zeitdiagnostiker“ etikettiert, schuldet McLuhans Art zu schreiben auch formalen Respekt, indem er die gewitzte Biografie mit diversen Textformen und Stimmen aus dem Internet bestückt.

Bei jedem Buch, behauptet Coupland, schlug McLuhan zunächst einmal die Seite 69 auf. Wenn ihm nicht gefiel, was er da sah, las er es nicht. Was findet sich in Couplands Buch auf Seite 69? "Also machte Marshall sich an die Dekonstruktion der Massenkultur. ... Er erkannte, wie die Medien eine Information erst unterschwellig manipulieren, um dann die Art und Weise, wie wir sie - und jede andere Information - aufnehmen, umzupolen.“

Marshall McLuhan

Eine Biographie. Von Douglas Coupland.

Tropen 2011. 221 Seiten, gebunden, e 19,50

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