Einschlägig Abstoßendes

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Wie redaktioneller Anspruch durch die Wirklichkeit der Inseratenseite torpediert wird.

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Wie redaktioneller Anspruch durch die Wirklichkeit der Inseratenseite torpediert wird.

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Der Zeitungsleser von heute muß abgebrüht sein. Nicht zuletzt bei der Lektüre des Anzeigenteils. Daß der Boulevard seitenweise Telefonsex, Massagen, Begleitungen und sonstige zeitgemäße Varianten der Prostitution anbietet, ist längst gewohnte Übung und steht für die Herausgeber nicht im Widerspruch zu den theologischen Zeilenkontingenten des Bischofs von St. Pölten und den Naturpredigten des Kräuterpfarrers.

Falls die inserierten Kontakte zu unerwünschten Folgen geführt haben sollten, steht auch noch eine "Beratung" zur Verfügung, die auf Wunsch zum Schwangerschaftsabbruch führt. Irgendwie hätte man schon erwartet, daß die geistlichen Mitarbeiter einmal in den hinteren Teil ihres Blattes geblickt und dazu Stellung genommen hätten.

Manch sogenannte Qualitätszeitungen verzichtet zwar auf die geistlichen Feuilletons, nicht aber auf einen ziemlich eindeutigen Inseratenteil. Im Falle der Salzburger Nachrichten, die sich im Jahres-Impressum "christlichen Grundsätzen" verpflichtet fühlen, ist das Prostitutions-Angebot besonders penetrant. Auffallend dabei ist nicht nur die laufende Zunahme des Umfangs dieser medialen Zuhälterei, sondern auch das konsequente Schweigen aller Institutionen, die daran Kritik üben sollten. Es muß ja nicht immer gleich die Kirche sein, welcher der moralische Zeigefinger übel oder lächerlich angekreidet wird und deren Mahnung auch noch als Propaganda mißbraucht wird.

Was ist eigentlich mit den Frauenbeauftragten, den feministischen Bewegungen, den weiblichen Abgeordneten? Wenn die Bundesbahn oder eine Wäschefirma Inserate oder Plakate schalten, die den Verdacht der Diskriminierung der weiblichen Würde erwecken, sind sogleich die Proteste laut. Diskriminiert das kaum verhüllte Anzeigen-Angebot des käuflichen Sex die Frauen nicht viel mehr? Und was sagt etwa der Landesschulrat zu einer im Unterricht approbierten Zeitung, in der sich eine "höschenlose, naturgeile Lehrerin" anbietet?

Grundsätzlich betonen Zeitungsredaktionen, daß sie auf den Inseratenmarkt keinen Einfluß und daher dafür auch keine Verantwortung haben. Der unbedarfte Leser weiß allerdings nicht, ob bei der deklarierten "grundsätzlichen Richtung" des Mediums nur der Redaktionsteil oder die ganze Zeitung gemeint ist. Fest steht, daß das Unternehmen Zeitung wirtschaftlich beides umfaßt und die Glaubwürdigkeit einer bestimmten Richtung durchaus auch vom Inseratenteil abhängt.

Gerade wenn eine Redaktion mit Recht die Unmoral politischer Zustände aufdeckt und kritisiert, wenn also das Medium eine sittliche Meinung vertritt, kann nicht ein paar Seiten weiter das Gegenteil durch gieriges Inkasso aus der Prostitution und Halbwelt praktiziert werden. Der Hinweis auf die Konkurrenz des Boulevards verfängt nicht.

Es gibt auf jedem Gebiet Grenzen, die auch dann nicht zu übertreten sind, wenn andere mit der Übertretung Geschäfte machen.

Der Hinweis auf "Ostmädchen" in Inseraten verrät zur Genüge, daß bei diesen Angeboten auch Menschenschmuggel und allerlei andere Kriminalität im Spiel sein kann. Wer verantwortet eigentlich den hier geleisteten Vorschub?

Wer tritt als Medienunternehmen hier die Würde von Frauen mit Füßen? Und wie unglaubwürdig wird jeder redaktionelle Einsatz für eine gerechte Asylpolitik unter solchen Umständen?

Um nicht in den Geruch der Pornojagd zu kommen, werden diese Fragen von vielen, die sie längst sehen und erkennen konnten, schamhaft verschwiegen.

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