Ethik versus Quotendruck
Wie wichtig ist Moral für Österreichs Journalisten? Eine Studie versucht, dies herauszufinden.
Wie wichtig ist Moral für Österreichs Journalisten? Eine Studie versucht, dies herauszufinden.
Der radikale Wandel in der Medienwelt hat auch das Berufsbild des Journalisten wesentlich verändert. Die Branche boomt wie nie zuvor." Hans Ströbitzer, Vorsitzender des Club M, eines ökumenischen Vereines zur Förderung verantwortungsbewusster Medienarbeit, stellte bei einer Medienenquete in Wien eine neue Studie vor, die sich mit Berufsauffassung und Ethik von Österreichs schreibender Zunft auseinandersetzt.
Ausgegangen ist man bei der Studie, die in Zusammenarbeit mit dem Publizistik-Institut der Wiener Universität durchgeführt wurde, von den Fragen: "Wie hoch wird der Stellenwert und die journalistische Verantwortung eingeschätzt?" und "Welchen Wert misst man der moralischen Integrität bei, wenn es in der alltäglichen Arbeit der Journalisten wiederholt zu Gewissenskonflikten bei der Verwirklichung ethischer Grundsätze kommt?".
Über 400 Journalistinnen und Journalisten aus ganz Österreich nahmen an der Untersuchung teil. Projektleiterin Lieselotte Stalzer: "Der Wandel im Berufsbild der Journalisten ist in der Untersuchung deutlich feststellbar: für die technische Produktion, die die Journalisten immer mehr mit übernehmen müssen, ist der Zeitaufwand deutlich gestiegen." Journalisten müssten heute vor allem Generalisten sein, die nicht mehr nur ihre Texte schreiben, sondern auch gleich das Layout gestalten. Das bringt auch Nachteile mit sich, ist Astrid Zimmermann, die Vorsitzende der Journalistengewerkschaft, überzeugt: "Mit den zusätzlichen Aufgaben steigt auch der Arbeitsdruck an. Alles muss schneller gehen, das belastet mitunter die Qualität. Außerdem verschwinden frühere Berufsgruppen wie Setzer, Bildbearbeiter und Drucker. Die Journalisten machen alles selbst, die Redaktionen erhalten aber trotzdem keine bessere personelle Ausstattung". Unisono ORF-Hörfunkintendant Manfred Jochum: "Geschwindigkeit zählt mehr als Qualität. Für eine fundierte Recherche bleibt oft keine Zeit mehr".
Dennoch, so zeigt die Umfrage, sind die Hauptquellen der journalistischen Themenfindung nach wie vor persönliche Informationen und Interviews, die vergleichsweise zeitaufwendig sind. Das Internet als Quelle wird aber immer wichtiger: schon 43 Prozent der Journalisten recherchieren online.
Der gestiegene Einfluss von Marketing und Werbung in der Branche sei vorwiegend auf Kosten von Hintergrundinformation gegangen. Die Beiträge sind heute aus der Sicht von Österreichs Journalisten "oberflächlicher, kommerzieller und bieten mehr Unterhaltung". "Das Wort der Stunde heißt ,Infotainment', 85 Prozent der Befragten messen der Unterhaltung einen Stellenwert bei", meint Stalzer. Manfred Jochum: "Man giert heute mehr nach Stoffen denn nach Inhalten". Gut sei, was sich verkaufen lasse. Dass der Journalismus einen großen Einfluss auf die Gesellschaft hat, glauben 69 Prozent der Befragten, auch, dass in der Branche vermehrt Konkurrenz- und Quotendenken regieren, ist eine weit verbreitete Meinung.
Ethik und Moral treten diesen Phänomenen entgegen. Stalzer: "Die Hälfte der Befragten war der Meinung, ein guter Journalist müsse vor allem moralische Integrität besitzen. Die überwältigende Mehrheit der Journalisten gab an, ein humanistisches (71 Prozent) oder ein religiöses Weltbild (69 Prozent) zu haben. Das signalisiert hohes Verantwortungsbewusstsein". Die Umsetzung solcher Werte gestalte sich aber nicht selten schwierig. Astrid Zimmermann: "Die Qualitätskriterien existieren zwar in den Köpfen, fließen aber selten in den journalistischen Alltag ein. Hier kämpft die Ethik mit dem Quotendruck". Immerhin: 57 Prozent der Befragten gaben an, sich ihrem Gewissen gegenüber verantwortlich zu fühlen, satte 94 Prozent halten ethische Richtlinien im Journalismus für notwendig.
Hannes Schopf, Pressesprecher des Verbandes österreichischer Zeiungen, zur Studie: "Die Probleme müssten schon in der Journalistenausbildung gelöst werden. Diese gehört auf eine breite, solide Basis, die den Bereich Ethik prominent berücksichtigt".
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