Expandierende Synapsen
Ob simples Werkzeug oder globales Gehirn - elektronische Netzwerke lassen die Phantasie blühen.
Ob simples Werkzeug oder globales Gehirn - elektronische Netzwerke lassen die Phantasie blühen.
Pierre Teilhard de Chardin hat ihn schon vor einem halben Jahrhundert vorgedacht: den Sprung von der Bio- in die Noosphäre, vom Organischen in die Sphäre des Geistes. Was er jedoch im göttlichen "Punkt Omega" gipfeln sah, interpretieren heutige Internet-Visionäre profan: als globales Gehirn mit Millionen von Computern als Synapsen.
Ob realistisch betrachtet oder visionär: an der weltweiten Vernetzung scheiden sich die Geister. So auch im Sammelband "Netzwerke. Kooperation in Arbeit, Wirtschaft und Verwaltung", unter anderem herausgegeben vom Leiter des "Zentrums für soziale Innovationen" (ZSI) in Wien, Josef Hochgerner. In deutscher und englischer Sprache (man denkt global!) machen sich internationale Autoren ihre Gedanken über die Zukunft der Informationsgesellschaft - und kommen zu höchst unterschiedlichen Schlüssen: Tom Stonier, emeritierter Professor für Wissenschaft und Gesellschaft an der Universität Bradford, sieht etwa ein globales Gehirn im Entstehen begriffen, das dem menschlichen immer ähnlicher werden soll: "Der große Unterschied wird sein, dass das Netzwerk nicht aus Nervenfasern besteht, sondern aus Telefonkabeln, optischen Fasern, Radio- und Laserstrahlen." Anders als sein organisches Pendant habe das elektronische "global brain" keine lange Evolutionsgeschichte hinter sich. Außerdem würden sich die Knoten des menschlichen Hirns niemals duplizieren, während jene "des globalen Gehirns - Menschen und Computer - beinahe undefinierbar wachsen." Gemeinsam ist den beiden Hirnen nur Komplexität: Angenommen, in der Mitte des 21. Jahrhunderts zählt die Weltbevölkerung zehn Milliarden Menschen und nur zehn Prozent wären in ein Netzwerk integriert, so hätte das globale Gehirn immerhin eine Milliarde "Knoten".
Kritisch dagegen die Analyse Hubert Eichmanns vom "ZSI" Wien, der solcherlei Visionen mit dem slowenischen Philosophen Slavoj Zizek als "phantasmatisches Ausagieren von Ersatzhandlungen" entlarvt. Auch von Cyberdemokratien sei nicht allzuviel zu halten: "Bei aller Euphorie über die neu entstehenden Möglichkeiten der weltweiten Kommunikation im Cyberspace ... übersieht man leicht, dass es sich hier nur um einen Teil der Bevölkerung entwickelter Länder handelt, denen diese Segnungen zumindest potentiell zugute kommen werden." Und auch diese bevorzugten "Kinder der Freiheit" dürften sich nicht allzugroße "Wir"-Gefühle erwarten, analysiert er nüchtern: "In virtuellen Gemeinschaften geht es nicht um die Ausbildung von Solidarität, sondern um den Meinungs- und Interessensaustausch."
Dennoch: Dem Zwang zu globaler Kooperation und Kommunikation ist nicht zu entkommen: Schon jetzt hat die weltweite Vernetzung den sozialen Strukturen ihren (widersprüchlichen) Stempel aufgedrückt: Keine Telearbeit ohne eine Spur von Scheinselbständigkeit, kein Downloaden von Musik oder Software ("Open Source") ohne einen Hauch von Raubkopie, kein Telebanking ohne einen Rest an Unsicherheit. Auch die öffentliche Verwaltung im Internet führt nicht automatisch zu größerem politischen Interesse seitens der Bürger. Betrachtungen zu virtuellen Unternehmen, territorialen Beschäftigungspakten, Technologietransfer und der Chance vom "global village" runden das widersprüchliche Bild ab.
Aller Unkontrollierbarkeit des Netzes zum Trotz: Für den australischen Architekturprofessor Ranulph Glanville ergibt sich schlussendlich ein positives Bild vom Internet, das auch für dieses Buch gelten kann: Die Fülle an Information fördert die Verantwortung des Benutzers - und bietet in jedem Fall die Möglichkeit für Überraschungen.
Netzwerke. Kooperation in Arbeit, Wirtschaft und Verwaltung. Hg. von H. Eichmann, J. Hochgerner und F. Nahrada. Falter Verlag, Wien 2000. 265 Seiten, öS 248,-/e 18,02
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