Fast beiläufige Traurigkeit

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SUZHOU RIVER / Suzhou River

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SUZHOU RIVER / Suzhou River

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Ein Ich-Erzähler beginnt eine Geschichte zu erzählen, zu der ihn der Fluss Suzhou, welcher durch Shanghai fließt, inspiriert hat. Obwohl er namenlos und hinter der Handkamera versteckt bleibt, mit welcher der Film aufgenommen wurde, kann er zu den Ereignissen im Milieu der Kleinkriminellen keine beobachtende Distanz bewahren. Denn auch seine Freundin wird in die traurige Liebesgeschichte von dem Motorradboten Mardar und seinem Mädchen Moudan verstrickt. Mit seinem zweiten Spielfilm beweist der 36-jährige Lou Ye erstaunliches Erzähltalent. Die Verschränkung der verschiedenen Erzählebenen geschieht so sanft, dass man kaum bemerkt, wie komplex der Film aufgebaut ist. Dazu kommen sehenswerte Einstellungen, etwa von den Industrieanlagen am Flussufer, die mit der Schönheit ihres beiläufigen Charakters beeindrucken. Ab 14.

Der Fluss Suzhou fließt in Shanghai ins Meer. Wer die Menschen beobachtet, die ihn befahren und an seinen Ufern wohnen, dem werden viele Geschichten erzählt. So empfindet es zumindest der namenlose Ich-Erzähler, der den Fluss von seinem Fenster aus beobachtet und mit der Videokamera filmt. Vieles habe er schon gesehen: ein Mädchen wie es sich in die Fluten gestürzt hat, einmal sogar die Bergung eines ertrunkenen Liebespaares. Als seine Freundin immer wieder vom Motorradboten Mardar spricht, der seit langem unablässig seine geliebte Moudan sucht, beginnt er zu erzählen, wie er sich dessen Geschichte vorstellt.

Die Leichtigkeit, mit welcher der Filmemacher Lou Ye aufwendige Erzählstrukturen inszeniert, ist erstaunlich. Das Mädchen des Erzählers bekommen wir nur durch seine Kamera zu sehen. Die ungewöhnliche Perspektive für die Darstellung einer Beziehung ist jedoch keinen Moment lang auffällig, was so leicht wie ein einfallsreicher Gag aussehen kann, wirkt hier ganz natürlich. Ganz genauso, wie jener Kommentar des Erzählers, mit dem die Erzählebene gewechselt wird. Mit seinem Bericht über Mardar und Moudan an ein Ende gekommen, sagt er, dass von hier an nur noch Mardar selbst weitererzählen kann - woraufhin der Film tendenziell seinen rückblickenden und imaginativen Charakter verliert.

Die Geschichte, die von Mardar erzählt wird, handelt von Verbrechen, Mord, von großer, aber zu spät erkannter Liebe, und von einer Frau, die sich sehr verändert hat - oder vielleicht doch eine andere ist. Ein Repertoire, das auch ohne die erzählerische Finesse einen film noir ergeben hätte. Dazu kommen schließlich noch die beiläufig mit der Handkamera gedrehten Einstellungen vom Flussufer.

Ye hat den Film mit einfachen Mitteln und ohne eine offizielle Drehgenehmigung aufgenommen, aber gerade die ungeschönten Aufnahmen vom Fluss mit seinen Brücken und am Ufer gelegenen Industrieanlagen entfalten einen großen Zauber. Der Film funktioniert auf allen seinen Ebenen: als romantische Liebesgeschichte im kriminellen Milieu, als Verwechslungsgeschichte, die auch den Zuschauer im Unklaren lässt, als ausgetüfteltetes Beispiel cineastischer Erzählkunst und zudem auch noch als dessen Kommentar. Der letztes Jahr in Rotterdam, Paris und auf der Viennale preisgekrönte Film sollte daher ein breites Publikum ansprechen und kann hier nur wärmstens empfohlen werden.

China / Deutschland 2000 - Produzent: Nai An, Phillipe Bober - Verleih: polyfilm - Länge: 83 Min. - Regie: Lou Ye - Buch: Lou Ye - Kamera: Wang Yu - Schnitt: Karl Riedl - Musik: Jörg Lemberg - Darsteller: Zhou Xun, Jia Hongsheng, Nai An Yao Anlian, Hua Zhongkai, Lou Ye

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