Maria Pernegger - © Foto: Pamela Russmann

Frauentag: Ein Feminismus, den niemand braucht

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Alljährlich finden sich um den 8. März in den Medien feministische Pflichtübungen. Doch die Ungleichheit von Frau und Mann bleibt. Eine Abrechnung.

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Alljährlich finden sich um den 8. März in den Medien feministische Pflichtübungen. Doch die Ungleichheit von Frau und Mann bleibt. Eine Abrechnung.

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Alljährlich um den 8. März be­ginnt das Wetteifern um die besten Versprechungen und Ansagen. Es ist ein traditionelles Schaulaufen von Politik und Wirtschaft für die Gleichberechtigung der Frau, das unter enormem Getöse praktiziert wird. Den Medien kommt hier eine ganz entscheidende Rolle zu, denn sie sind die Hauptbühne für dieses Spektakel. Für ein paar Tage schlüpfen Eliten und Meinungsmacherinnen kollektiv in die Rolle der Feministinnen, selbst solche, die mit der Thematik üblicherweise rein gar nichts am Hut haben oder mit dem Begriff der Feministin tunlichst nicht in Verbindung gebracht werden möchten. Am Weltfrauentag allerdings werden die „Frauenthemen“ ganz bewusst hervorgekramt. Gut verstaut findet man sie weitgehend unberührt noch dort an, wo man sie ein Jahr zuvor sorgfältig abgelegt hat.

Aber der Aufwand lohnt sich allemal – für die Publicity, für die Reputation und als sichtbarer Beleg für Fortschrittlichkeit und Diversität. Der 8. März ist mittlerweile zu einem guten Teil Maskerade und Inszenierung mit Eventcharakter geworden, der allerdings frauenpolitisch kaum nachhaltige Fortschritte nach sich zieht.

Viele leere Versprechungen

Zugleich ist der Weltfrauentag aber eine lautstarke Erinnerung an – und ein sichtbares Plädoyer für – den Feminismus . Viele können diesem Hype um feministische Themen und dem Kampf für Gleichberechtigung nichts abgewinnen. Da sind zum einen die vielen leeren Versprechungen, nicht nur im Rahmen der Weltfrauentage, sondern insgesamt. Auch wenn sich gesellschaftspolitisch in den letzten Jahrzehnten für Frauen zweifelsohne viel verbessert hat, es gibt immer noch genügend zentrale Themen – insbesondere die Lohngerechtigkeit oder unbezahlte Betreuungsarbeit betreffend –, die ungelöst in Endlosschleifen immer wiederkehren. Ein Hauptproblem und zugleich Wurzel aller Zweifel an einer raschen Problemlösung: Die öffentliche Debatte im frauenpolitischen Diskurs schrammt seit Jahren an den Lebensrealitäten vieler „Durchschnittsfrauen“ komplett vorbei.

Weder von den medial und politisch breit debattierten Frauenquoten in Aufsichtsräten noch von der polarisierenden Kopftuchdebatte oder der Diskussion um die geschlechtersensible Sprache kann sich eine Mehrheit der Frauen direkte, persönliche Verbesserungen für ihren Lebensalltag erwarten. Bei aller Relevanz dieser Themen und der zweifelsohne notwendigen Auseinandersetzung damit – existenzielle Sorgen einer breiten Masse bleiben davon unberührt. In diesem Zirkel mehr oder weniger Betroffener mag die öffentliche Feminismusdebatte wie ein abgehobenes, theoretisches Konstrukt wirken, das in der Realität nichts bringt und auf Luxusprobleme einiger weniger Privilegierter fokussiert.

Weder von den debattierten Frauenquoten in Aufsichtsräten noch von der Kopftuchdebatte kann sich eine Mehrheit der Frauen direkte, persönliche Verbesserungen erwarten.

Und dann gibt es noch viele, die wissen, dass sie diesen Feminismus, der stellenweise etwas verbraucht und antiquiert daherkommen mag, schlichtweg nicht brauchen. Frauen, die es auch ohne Quote und Co schaffen wollen. Mit Fleiß, Mut, aus eigenem Antrieb und der Überzeugung heraus, dass – wo ein Wille ist – sich auch ein Weg finden wird. Das ist legitim. In diesem Mindset könnte aber bereits das Hinweisen auf frauenpolitische Missstände oder Gender-Gaps als Eingeständnis eigener Schwäche und selbstverschuldeter Unfähigkeit von Frauen interpretiert werden.

Die deutsche Bloggerin Ronja von Rönne beschreibt in ihrem Text „Warum mich Feminismus anekelt“ ausführlich, weshalb sie die Feminismusdebatte für nervtötend und überflüssig hält. Sie meint darin: „Ich kenne viele erfolgreiche Frauen. Keine von ihnen ist Feministin, weil sich keine von ihnen je in einer Opferposition gesehen hat.“ Abgesehen davon, dass der Opferbegriff aktuell sehr inflationär verwendet wird, erschließt sich mir darüber hinaus der darin skizzierte Zusammenhang nicht. Ich kenne auch viele erfolgreiche Frauen. Viele von ihnen sind aber Feministinnen, ich nehme an, gerade weil sie erfolgreich sind, auf der Karriereleiter weit oben stehen und dort zu spüren bekommen, was man weiter unten meist noch nicht in diesem Ausmaß erfährt und sieht. Nämlich, dass das Geschlecht beim beruflichen Weiterkommen nach wie vor einen gewaltigen Unterschied macht. Es sind gehegte Traditionen und inoffizielle Spiel­regeln, die seit Langem zulasten vieler qualifizierter Frauen funktionieren: Geschlecht sticht Qualifikation, Netzwerk sticht Expertise – dieses Muster trifft nicht immer zu, natürlich! Aber nach wie vor oft genug.

Der Kampf für die Gleichberechtigung der Geschlechter kennt viele Kritikerinnen und Zweiflerinnen. Obsolet ist er deshalb aber noch lange nicht, im Gegenteil. In der Analyse gesellschaftspolitischer Themen und des medialen Diskurses verlassen wir uns auf die Klarheit und Sachlichkeit der Fakten. Wohl wissend, dass in der öffentlichen Debatte Fakten in der Wirkung verglichen mit Emotionen fast immer den Kürzeren ziehen. Letztere sind in einer Welt voller Reiz- und Datenüberflutung schlichtweg erfolgreicher unter die Leute zu bringen. Deshalb erzeugen die Grabenkämpfe um Binnen-I, die Auseinandersetzung mit Sexismus in einer polarisierenden #Metoo-Debatte oder das Kopftuchverbot ungleich mehr Nachhall als etwa die seit Jahren diskutierte Gehaltsschere. Eine Frauenpolitik, die vorwiegend auf polemische Akzente setzt, verliert in der breiten Masse ihre Glaubwürdigkeit und Gestaltungsmacht – letztlich setzt sie damit sogar ihre Berechtigung aufs Spiel.

Die Gefühlsleben aussparen

Der Ball liegt aber auch maßgeblich bei den Medien, die wichtige Basis der Meinungs- und Wissensbildung sind. Die Feminismusdebatte polarisiert und sie emotio­nalisiert. Dabei könnte die Gefühlsebene getrost ausgespart werden, denn die Alltagsrealität ist „aufregend“ genug: In den Managementboards der größten Unternehmen des Landes liegt der Frauenanteil aktuell bei unter zehn Prozent. In der Regierung herrscht zwar Geschlechterparität, das Sagen haben im öffentlichen Diskurs aber zu etwa 75 Prozent die männlichen Kollegen.

Internationale Zahlen belegen, dass im Sportsponsoring weniger als ein (!) Prozent der Sponsoringgelder exklusiv an Sportlerinnen gehen. Frauen arbeiten in Österreich im Vergleich zu Männern gut eineinhalb Monate im Jahr gratis. Laut Statistik Austria waren 2018 fast 75 Prozent der Frauen im Alter zwischen 25 und 49 Jahren mit Kindern Teilzeit beschäftigt, aber nur 5,6 Prozent der Männer – damit ist offensichtlich, wer in Partnerschaften den großen Brocken der nicht bezahlten Arbeit trägt und im Zuge der Familienplanung beruflich zurücksteckt. Im Alter sind Frauen doppelt so häufig von Armut betroffen. Eine von fünf Frauen erfährt (häusliche) Gewalt, jede 20. Frau wird im Lauf ihres Lebens vergewaltigt. Langweilige Fakten? Im Gegenteil: Es ist eine brisante Schieflage zwischen den Geschlechtern – zu spektakulär für meinen Geschmack!

Den Weltfrauentag könnte man abschaffen, wenn er substanzlos und ohne Konsequenzen bliebe. Denn dann wäre er der Sache nicht dienlich – und abseits der freundlichen Blumengeschenke auch nutzlos. Aber die Faktenlage ist geradezu erdrückend, und so wird für uns als Gesellschaft kein Weg an der ernsthaften Auseinandersetzung mit all diesen unschönen Themen vorbeiführen. Ob wir wollen oder nicht. Man könnte natürlich auch abwarten, sich in Geduld üben und schauen, was von alleine passiert. Aber ob das ratsam ist? Margaret Thatcher hat einst einen prägenden Satz formuliert, der hier abschließend gut hinpasst: „Geduld ist eine gute Eigenschaft, aber nicht, wenn es um die Beseitigung von Missständen geht.“

Die Autorin ist Geschäftsführerin der Agentur Media Affairs. Sie ist Spezialistin für politische und gesellschaftspolitische Medienmarktanalyse sowie Autorin und Initiatorin der ersten bundesweiten Studie über die öffentliche Sichtbarkeit von Frauen.

HINWEIS: Die FURCHE-Ausgabe, in der dieser Beitrag erschienen ist, war dem Thema „Frau sein“ gewidmet. Als Einladung zum Perspektivenwechsel wurde bei im Text erwähnten Personengruppen grundsätzlich die weibliche Form verwendet.

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