Gekonnte Koketterie

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Geladen war er als Bürgerrechtler, gekommen ist er als möglicher Wulff-Nachfolger und wenige Stunden, nachdem er gegangen war, wusste man: Joachim Gauck wird der nächste deutsche Bundespräsident. Am Sonntag vormittag war Gauck zu Gast bei Ö1-Doyen Peter Huemer im Stadttheater Walfischgasse. Das Gespräch war ein halbes Jahr zuvor vereinbart worden, von Wulffs Abtritt war damals noch keine Rede. Auf der Theaterbühne, wo die die beiden Altgedienten in tiefen Ledersesseln plauderten, wurde das Thema pflichtbewusst behandelt.

Der Citoyen predigt routiniert von Freiheit

Seine Gefühle wären ambivalent, sagte Gauck. Sein derzeitiges Leben, als Nicht-Präsident, gefalle ihm und Angela Merkel sei sowieso "schwer auszurechnen“. Dass er nicht abgeneigt wäre, das Amt anzutreten, wenn man es ihm anböte, hörte man trotzdem deutlich heraus. Etwa als er von seinem Lieblingsthema, der Freiheit, sprach, die auch bedeute, Verantwortung zu übernehmen. Als er im Zuge dessen andeutete, dass es ganz und gar nicht zu Herrn Gauck passte, eine ihm auferlegte Verantwortung aus altersbedingtem Gleichmut, politischem Kalkül oder gekränktem Stolz abzuweisen. "Zum Glück muss ich über diese Frage nicht selber entscheiden“, meinte er kokett.

Spürbar lieber sprach er über seine Arbeit im Stasi-Archiv, das im Volksmund nur "Gauck-Behörde“ genannt wurde. Routiniert beklagte er die deutsche Nationalkultur als eine "Kultur des Verdrusses“: "Wir denken, andere Instanzen sind zuständig für unser Glück. Wir müssen dem Element der Eigenverantwortung mehr Bedeutung zukommen lassen.“ Weltmännisch übte Gauck Kritik an den Finanzmärkten ("Es ist ein Gebot der Vernunft, dass wir nicht einen Teil rechtsfrei vor sich hinarbeiten lassen“), unterstrich seine Vorbehalte gegen die Occupy-Bewegung und bekundete Sympathie für die Piraten-Partei ("Sind in ihrer Schlichtheit unwählbar, aber sie stehen nicht am Rand und spucken in die Suppe, sondern gehen rein und machen mit“).

Der "Citoyen“, wie er sich selbst bezeichnet, predigte erfahren von Freiheit, Ermächtigung und Gläubigkeit, die man aber unbedingt aus der Politik raushalten soll: "In der politischen Debatte will ich rationale Auseinandersetzung nach den Regeln der Aufklärung und keine Heilsversprechen einer Idealgesellschaft.“ Dafür seien Kunst oder Religion zuständig.

Welch erhöhende Wirkung Gauck auf Menschen hat, war bei den Publikumsfragen bemerkbar. Nicht nur der Reporter einer Gratis-Tageszeitung stellte aus der letzten Reihe zwei Fragen, die am nächsten Tag als "Exklusiv-Interview“ zu lesen waren. Auch eine Frau meldete sich, klagte ihre Lebensgeschichte ins Mikrofon und fragte dann ganz erwartungsvoll: "Glauben Sie, Herr Gauck, gibt es eine Gauck-Akte von mir?“ Gauck antwortete schlicht: "Es gibt keine Gauck-Akten.“ Da war sie wieder, die gekonnte Koketterie.

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