Gott und Welt neu gedacht

19451960198020002020

Am ostersonntag vor 60 Jahren verstarb Pierre teilhard de Chardin - Jesuit, Paläontologe, Philosoph, Mystiker - und vor allem: verkannt.

19451960198020002020

Am ostersonntag vor 60 Jahren verstarb Pierre teilhard de Chardin - Jesuit, Paläontologe, Philosoph, Mystiker - und vor allem: verkannt.

Werbung
Werbung
Werbung

Teilhard de Chardin? Wer?" Teilhard de Chardin ist, stark verkürzt, jener Jesuit und Paläontologe, der wegen der Evolutionslehre mit seinem Orden und seiner Kirche ständig Probleme und Konflikte hatte, und den seine Oberen und die Kurie deswegen ständig kujonierten. Wäre dieser katholische Außenseiter eine Leitfigur für heute? Für die Christen von heute?

Es haben sich 60 Jahre nach seinem Tod Fragezeichen angehäuft. Teilhard ist jenen, die ihn kennen und kennen sollten, gleichgültig geworden. Zunächst: Teilhard de Chardin war Mystiker und Vorläufer einer neuen Theologie. Und dazu Franzose.

"Um uns dehnen die Naturwissenschaften die Abgründe der Zeit und des Raumes unermesslich aus und enthüllen dauernd neue Verbindungen zwischen den Bestandteilen des Universums", notiert Teilhard in seiner Arbeit "Der göttliche Bereich". 1957, zwei Jahre nach dem Tod des Autors, in Paris erschienen, vorher 25 Jahre als Manuskript von Hand zu Hand weitergereicht, liest man in der gedruckten Ausgabe seine Anfrage: "Kann der Christus der Evangelien, den man sich in den Dimensionen des Mittelmeeres vorstellt und liebt, noch unser unvorstellbar groß gewordenes Universum umfassen und dessen Mittelpunkt bilden?"

Lebenslang verhinderte Publikationen

Teilhard reißt diese Dimension rücksichtslos auf und dreht das Verständnis von Gott und Welt um: Gott kommt uns in den Dingen entgegen. Und die Dinge - die sind zusammengefasst in dem Wort "Materie", ein Thema seit seiner Kindheit. Dieser Jesuit und Paläontologe brachte Naturwissenschaft und Theologie auf neue Weise zusammen. Er legte sein grundlegend neues Konzept in vielen kleinen und größeren Arbeiten vor, deren Erscheinen zu seinen Lebzeiten sein Orden, der Philosoph und Botschafter Jacques Maritain und vor allem Rafael Merry del Val, der Kardinal-Staatssekretär unter Papst Pius X., mit Erfolg verhinderten.

Pierre Teilhard de Chardin, am 1. Mai 1881 im Schloss Sarcenat bei Clermont-Ferrand in der Auvergne geboren, konservativ katholisch erzogen, begann 1892 bei den Jesuiten in Villefranche seine Gymnasialstudien. Dass er später Jesuit werden wollte, wunderte niemanden. Nur - es gab sozusagen eine zweite Berufung, die sich schon in früher Kindheit bemerkbar machte. Alle Gegenstände aus Eisen interessierten den Buben mehr als alles andere.

Seine wissenschaftliche Laufbahn als Paläontologe erreichte 1927/29 ihren Höhepunkt. Man entdeckte in einer Höhle bei Zhoukoudian südlich von Peking den berühmten "Sinanthropus Pekinensis (Peking-Menschen)" - der weitgereiste und in Fachkreisen längst hoch angesehene Teilhard war bei der Auswertung der Bruchstücke 1931 dabei. Das Menschengeschlecht war, so stellte sich damals heraus, viel älter als angenommen. Der Mensch - eine Entwicklung aus dem Tierreich, der Sinanthropus als Bindeglied zwischen Tier und späterem Menschen gab der Evolutionslehre Charles Darwins einen kräftigen Schub und ein katholischer Geistlicher wertete die Fossilien mit aus, eben der Jesuit Teilhard de Chardin. Dies löste natürlich einen Schock bei vielen christlichen Gläubigen aus.

Christentum mit Evolutionslehre versöhnt

Denn dank permanenter Indoktrination hatte sich der biblische Schöpfungsbericht in seinem wörtlichen Sinn in den meisten Hirnen eingebrannt. Und diese Vorstellung reichte stellenweise noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. In den USA ist dies in der Form des Kreationismus noch immer gegenwärtig.

Teilhards große Bedeutung liegt in der Einführung dieser Problematik der Evolutionslehre in die geistig-religiöse Situation des römischen Katholizismus seiner Zeit. Er hat neue Zusammenhänge durch die Fortschritte der Naturwissenschaften - Atomphysik, Zellbiologie, Virologie, Paläoanthropologie, Primatologie - hergestellt und darüber geschrieben.

Teilhard, so der evangelische Theologe Ernst Benz 1966, konnte dem längst überholten kirchlichen Verdammungsurteil entgegentreten, kraft dessen die Evolutionslehre im antimodernistischen Feldzug zusammen mit dem Kommunismus verurteilt worden war.

War Teilhard nun ein Ketzer? Im landläufigen, unreflektierten Sinn: ja. Im Sinne von Rupert Lay: nein. In seinem Buch "Die Ketzer. Von Roger Bacon bis Teilhard" (1982) sind Ketzer "Menschen, die an der Peripherie, weitab vom ideologischen Zentrum stehend, neue Antworten auf alte Fragen geben; neue Fragen stellen, die Antworten einfordern, die unangenehm, beängstigend sind und nicht konform gehen mit der allgemeinen Selbstverständlichkeit. Wer aber Selbstverständlichkeiten in Frage stellt, wirkt bedrohlich, weckt Ängste." Solche Selbstverständlichkeiten hätten selten etwas mit der Realität zu tun, dafür umso mehr mit Vorurteilen. Rupert Lay: "Ketzern verzeiht man nicht." Teilhard sei dabei eine ganz neue Art von Ketzer: "Er beantwortet zwar religiöse Fragen profan, macht aber damit das Religiöse nicht profan, sondern das Profane religiös."

Gegen Selbstverständlichkeiten kritisch denken: Das bedeutete für Teilhard lebenslange physische und psychische Verbannung, 25 Jahre in China und zuletzt mehrere Jahre in den Vereinigten Staaten. Dort, in New York, starb er, wie er es sich immer gewünscht hatte: An einem Ostersonntag. Am Ostersonntag, dem 10. April 1955. Zu seinem Begräbnisgottesdienst hatten sich zehn Freunde eingefunden. "Ich allein folgte ihm nach St. Andreas am Hudson, wo er ohne jeden anderen Schmuck als den der Armut im Novizialfriedhof der Jesuitenpatres der Provinz New York beerdigt wurde", schreibt traurig sein Freund Pater Pierre Leroy.

Prophet des Glaubens an die Welt

Man kann Teilhard Irrtümer nachweisen, wissenschaftliche ebenso wie nicht durchdachte theologische Positionen, aber eines steht -wohl unwidersprochen -fest: dass er ein Prophet eines Glaubens an die Welt ist, der überhaupt nichts Negatives an sich hat außer Freude an der Bewegung nach vorn und nach oben -wobei Gott als, wie Teilhard formulierte, "Punkt Omega" vom quälenden und strafenden zum liebenden Vater mutiert.

Das hat natürlich weder mit Naturwissenschaft noch mit Philosophie oder Theologie im engeren Sinn zu tun, sondern mit einem Weltbild, mit Mystik und einer Einstellung zum Leben, die positiver und erfreulicher nicht sein können - trotz der Kriege, der Aggressionen, der Morde und Terroranschläge. Teilhard hat das alles selbst miterlebt: als Sanitäter im Ersten Weltkrieg, während des Nationalsozialismus, als Beobachter der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki und selbst als von seinen Ordensoberen und seiner Kirche Gedemütigter, absichtlich Missverstandener, der dennoch nie daran gedacht hat, den Jesuitenorden zu verlassen, um endlich frei publizieren zu können. Er war von zwei Sätzen überzeugt: "Das Leben liegt vor uns", und: "Gott kommt uns in den Dingen entgegen."

Das Grab des lebenslang Verbannten sucht man heute vergebens. 1950 hatte ihn die Französische Akademie der Wissenschaften zu ihrem Mitglied ernannt. Zwei ausführlichere Plädoyers für Teilhard hielt am Zweiten Vatikanum Bischof Otto Spülbeck von Meißen 1964 und 1965. Das war's dann schon.

Was also blieb und bleibt von diesem Pierre Teilhard de Chardin? Als bittere Summe des Umgangs mit seinem Leben und seiner Arbeit der Satz: Wenn niemand mehr fragt, kann auch niemand mehr antworten.

VERANSTALTUNGSTIPP:

Teilhard de Chardin - Kühner Vordenker und Prophet

Vortrag von Dr. Raimund Badelt

Ort: Kardinal-König-Haus, 1130 Wien, Kardinal-König-Platz 3

Mittwoch, 22. April, 19 Uhr

Infos & Anmeldung: www.kardinal-koenig-haus.at

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung