Graue Maus bricht aus

Werbung
Werbung
Werbung

Semih Kaplanoglu erzählt in "Der Fall des Engels" die Geschichte einer jungen Frau in Istanbul. Türkisches Independet-Kino, das beeindruckt.

Der türkische Film ist in Deutschland und Österreich längst in die Multiplex-Kinos eingezogen. Die meisten dieser Filme sind Unterhaltungswerke mit bekannten Stars, die vor allem für volle Säle sorgen sollen. Abseits der publikumswirksamen Kassenschlager gibt es aber aufregende Filme des jüngeren türkischen Independent-Kinos zu entdecken. Vor zwei Jahren etwa begeisterte Nuri Bilge Ceylan mit "Uzak", nun folgt Semih Kaplanoglus nicht minder beeindruckender Film "Der Fall des Engels".

In langen und langsamen Einstellungen kann man Zeynep bei ihrer Arbeit als Zimmermädchen in einem schäbigen Hotel beobachten. Der Alltag der jungen, verschlossenen Frau ist trostlos und wenig aufregend. Zu Hause, ein ebenso dunkler Ort, muss sie ihren Vater bedienen. Er flüchtet sich in den Alkoholismus und vergeht sich Nacht für Nacht an seiner Tochter. Von dem pulsierenden Leben Istanbuls ist hier nichts zu sehen. Wie Kaplanoglu es in nur fünfzehn Minuten gelingt, ein Gefühl für Zeyneps Welt zu vermitteln, ist nahezu unheimlich. Dabei wurden bis dahin kaum Worte gewechselt, wie überhaupt Dialoge im Film spärlich gesät sind.

Das äußerst entschleunigte Erzähltempo ist daher absolut notwendig: in der Körperhaltung der Personen, im Abstand zueinander, in Gesten und Gesichtern, ja sogar in den Dingen selbst sind die Erzählungen zu finden. Ein Koffer, den Zeynep von einem fremden Mann erhält, macht die Möglichkeit auf ein anderes Leben sichtbar. Voller Staunen begutachtet sie die Frauenkleider und probiert ein rotes Negligé an. Als ihr Vater sie überrascht, zuckt sie zusammen und verwandelt sich wieder in die graue Maus zurück. Zuvor hat uns Kaplanoglu in einer beiläufig eingefügten Rückblende mit traumwandlerischer Souveränität gezeigt, wie Zeynep zu dem Koffer kommt. Dahinter verbirgt sich eine weitere traurige Geschichte um die Folgen einer gescheiterten Ehe.

Der Koffer wird zu einem Befreiungssymbol im doppelten Sinn - wie, das sei hier nicht verraten. Beim Ausbruch behilflich ist der heimliche Verehrer Mustafa, der Page des Hotels - noch ein Erzählstrang, den Kaplanoglu meisterhaft zu inszenieren weiß.

DER FALL DES ENGELS

Melegin Düsüsü

TKR/GR 2004. Regie: Semih Kaplanoglu. Mit Tülin Özen, Musa Karagöz,

Engin Dogan, Budak Akalin. Verleih: Stadtkino. 97 Min.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung