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Casting- und Talenteshows, früher und flüchtiger Ruhm, die umstrittene Rolle des Fernsehens: Über die zunehmende Dominanz der Kategorie "Unterhaltung“ im Medienzeitalter.

Fernsehen ist Schrott“, sagte der Mathematiker Rudolf Taschner, just am Rande der Alpbacher Technologie(!)-Gespräche gegenüber der APA. Wer sich gelegentlich, sagen wir an einem Samstagabend, so durch die Kanäle zappt, wird dem nicht wirklich widersprechen wollen; von ein paar Perlen abgesehen, die auch Taschner konstatiert.

Man kann es freilich auch ein wenig entspannter sehen: Fernsehen ist Unterhaltung. Damit entspricht es einem tief in der menschlichen Natur verwurzelten Bedürfnis. Damit ist es zwar auch, wie Christoph Chorherr vor Jahren einmal festgehalten hat, ein "antiaufklärerisches Medium“: Weil das Bild das Wort dominiert, die Emotion den klaren Gedanken. Aber das stimmt erstens nur teilweise: Weil Bilder ebenso Wahres vermitteln, erhellen und Worte vernebeln, verdunkeln, verzerren, verhetzen können. Und zweitens lebt und existiert der Mensch schlicht nicht nur im Modus der Aufklärung. Wenn Taschner also konstatiert, die Hoffnungen auf eine "Bildungsexplosion“ durch Radiosendungen, Schul- und Bildungsfernsehen hätten sich nicht erfüllt, so muss man vielleicht dazusagen, dass diese Hoffnungen utopisch waren. Die Erziehung des Menschengeschlechts zum Besseren ist ein alter Traum vieler Denker und Intellektueller - aber sie funktioniert so nicht.

Angler, Würmer, Fische

Also Ende der Kulturkritik? Nein, man muss nur sehen, dass es schrottfreies Fernsehen als solches nicht geben kann (von Nischen- und Spartenprogrammen abgesehen). Der berühmte Satz des legendären früheren RTL-Chefs Helmut Thoma, wonach der Wurm den Fischen schmecken müsse, nicht dem Angler, ist natürlich zynisch. Aber man kann ihn auch so lesen, dass das Problem nicht - jedenfalls nicht primär oder gar ausschließlich - beim Wurm liegt, auch nicht beim Angler, sondern bei den Fischen.

Zu den "Würmern“, die in besonderer Weise in der Kritik stehen, zählen alle Arten von Talente- bzw. Castingshows. Für den einen oder die andere mag das ein Sprungbrett zur Karriere im Show- und Unterhaltungsbusiness sein. Aber man muss kein habitueller Kulturpessimist sein, um beklemmend zu empfinden, wie da junge Menschen vorgeführt werden. Selbst bei den Erfolgreichen beschleichen einen zwiespältige Gefühle: Wer etwa Cornelia Mooswalder nach ihrem Sieg bei der ORF-Show "Helden von morgen“ gesehen hat, spürte auch die psychisch-emotionale Überforderung einer damals 17-Jährigen in dieser Situation. Was aber passiert, wenn die durch den Erfolg bei der Show genährten Hoffnungen sich nicht erfüllen? Was ist mit denen, die erst gar nicht so weit gekommen sind, sondern schon viel früher, von den Juroren abgekanzelt, vom TV-Publikum mit gesenktem Daumen bedacht, ausgeschieden sind? Wie verkraften junge Menschen generell das Strohfeuer schnellen, frühen, flüchtigen Ruhms?

Unerhört - und dann?

Das sind ernste Fragen, auf die es keine einfachen Antworten gibt - die aber wieder auf die "Fische“ zurückverweisen: Was verleitet Hunderttausende sich weitgehend sinnfreie, musikalisch-textlich vielfach fragwürdige Darbietungen, unterbrochen von ebenso sinnfreien und fragwürdigen Moderationen und Jurystatements, anzusehen? Eben das Bedürfnis nach Unterhaltung, Zerstreuung - und die Funktion der Teenie-"Stars“ als Projektionsflächen für manche Jugendliche und wohl auch deren Eltern.

Die oben gestellten Fragen lassen sich freilich cum grano salis auch für den Bereich der Klassischen Musik stellen - selbst ohne TV-Shows und ohne diese Breitenwirkung. Auch hier flackern ständig neue Sterne am Firmament auf - derweil die Netrebkos, Garancas, Julian Rachlins, Lang Langs, vor gar nicht so langer Zeit, noch als "Entdeckungen“ gefeiert, längst schon zu den Arrivierten zählen. Ein Extrembeispiel stellt der Florianer Sängerknabe Alois "unerhört“ Mühlbacher dar, der nicht nur mit dem üblichen Sängerknaben-Repertoire aufwartet, sondern mit den schwierigsten Sopranarien durch die Konzertsäle und CD-Studios dieser Welt tingelt. Kann man sich vorstellen, was aus ihm in zwanzig, dreißig Jahren geworden sein wird? Mag sein, ein Villazón, Hampson … Aber wer vermöchte zu sagen, dass es ihm nicht die Flügel versengt? Nicht aus Übermut oder sonstwie schuldhaftem Verhalten, nein - aber was dann?

"Die Bewunderung des Genialen ist, wenn sie im Medienzeitalter die Massen ergreift, immer auch ein Spektakel“, schrieb die Zeit zum Phänomen Mühlbacher. Die Diagnose trifft den wesentlichen Punkt, über den konkreten Fall hinaus. Und sie gilt wohl auch für das Nicht-Geniale: Alles, was im Medienzeitalter die Massen ergreift, gerät zum Spektakel. Wobei das Medienzeitalter längst mehr als ein Fernsehzeitalter ist, ja, das Fernsehen zusehends seine Funktion als Leitmedium verliert - wodurch sich die bereits dem Fernsehen inhärenten Probleme freilich nur verschärft haben: Der "Schrott“ im Worldwide Web ist noch ungleich größer, schier unübersehbar.

Deutungshoheit darüber, was als Schrott zu gelten hat, was als quasi "kultivierte Unterhaltung“ noch durchgeht, und was das Prädikat "Perle“ verdient, gibt es indes keine (mehr). Nur das like und dislike der "Fische“, i. e. User (Seher, Hörer, Leser …). Darum auch läuft letztlich alles, nicht nur, was im engeren Sinn so bezeichnet wird, unter "Unterhaltung“. Wortschöpfungen mit -tainment geben davon beredt Zeugnis - am geläufigsten die Rede vom "Infotainment“. Auch Information muss im Fernsehen und allen "jüngeren“ Medien Unterhaltung sein - nicht zuletzt die alljährlichen ORF-Sommergespräche (siehe TV-Kritik, S. 17) zeigen das deutlich.

Von der Information zur Deformation

War es je anders? Spannt sich nicht ein großer Bogen vom antiken "Panem et circenses“ ("Brot und Spiele“) bis zu US-Parteiconventions, von den Gladiatorenshows bis zu den "Helden von morgen“-Kämpfen? Ja, weil es - siehe oben - um das Bedürfnis nach Unterhaltung geht, weil dessen Befriedigung im Prinzip nach den immer selben Regeln funktioniert, nicht zuletzt weil der Mensch verführbar ist. Nein, weil unter den Bedingungen gegenwärtiger technologischer Möglichkeiten - unbegrenzter Vernetzung, rasanter Beschleunigung, (fast) totaler Verfügbarkeit von Daten aller Art - deren weitere Entwicklungen wir bestenfalls zu erahnen imstande sind, "Unterhaltung“ qualitativ etwas anderes bedeutet als in früheren Epochen der Menschheitsgeschichte: Information im weitesten Sinn, die uns permanent überflutet, wandelt sich solcherart potenziell zur Deformation - möglicherweise empfinden wir auch das noch unterhaltsam: Defotainment.

Der Angler, wer immer das ist, wird den Wurm nicht ohne Not austauschen. Aber zum Glück sind wir ja keine Fische, sondern Menschen, die sich selber helfen können. Sonst jedenfalls hilft uns keiner.

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