Hoffnung Ohne Prinzip

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Bei der Berlinale wurde "Paradies: Hoffnung“, der Schluss von Ulrich Seidls Trilogie, uraufgeführt. Bevor er hierzulande ins Kino kommt, eröffnet der Film die diesjährige Diagonale in Graz.

Es ist der Hattrick. Nicht nur, dass Ulrich Seidl mit dem letzten Teil seiner "Paradies“-Trilogie sein Opus Magnum abgeschlossen hat. Es ist ihm dabei auch gelungen, auf den drei relevantesten europäischen Filmfestivals in den jeweiligen Wettbewerb zu kommen: Cannes ("Paradies: Liebe“), Venedig ("Paradies: Glaube“), und auf der Berlinale 2013 wurde "Paradies: Hoffnung“ uraufgeführt.

Fürs Seidl’sche Œuvre gilt Ähnliches wie für die Filme von Michael Haneke: Der internationale Erfolg hat auch mit dem jahrelangen Bemühen zu tun, in der Filmwelt außerhalb Österreichs wahr- und aufgenommen zu werden (vgl. dazu Seite 22/23). Keine Frage, dass mit der geballten, sprich: dreifachen Präsenz der "Paradies“-Filme hier eine markante Spur möglich war. Folgerichtig daher, dass "Paradies: Hoffnung“ nun auch der Eröffnungsfilm der Diagonale, der Leistungsschau des österreichischen Films, ist.

Filmischer Anwalt des Überbordens

Man kann, wie bei anderen Seidl-Filmen, auch an die "Paradies“ -Trilogie Fragen stellen: Da dreht einer über einen langen Zeitraum Material um Material ab, um dann am Schneidetisch festzustellen, was daraus wird, und dass sich gleich drei Filme ausgehen. Wie anders geht Michael Haneke, der seine Opera ganz präzise plant, heran. Ulrich Seidl kann da taxfrei zum Meister filmemacherischer Üppigkeit, zum Anwalt des Überbordens ernannt werden. Wenn er dabei noch mit einer kulturanthropologischen und religiösen Konnotation arbeitet, dann ist ihm die Aufmerksamkeit sicher.

Denn auch wenn die Gesellschaft vorgeblich religionsfern ist, mit religiösen Fundstücken zu experimentieren, zahlt sich aus: Liebe. Glaube. Hoffnung. In christlicher Tradition sind damit die "göttlichen Tugenden“ benannt. Auch in der Verbindung mit der Titel-Behauptung "Paradies“ geht es um Religion. Irgendwie jedenfalls. Man ist zudem postmodern bewegt, also darf auch die Dekonstruktion nicht fehlen sowie der Kulturpessimismus, der des Regisseurs Schaffen durchdringt: Die Seidl-Gesellschaft ist nie mit sich selbst im Reinen, die Protagonisten darin schon gar nicht. Vielleicht sind es nur arme Würmchen, diese Menschen im Seidl’schen Kosmos, die in eine unheimlich artifizielle Bildsprache gezwängt werden.

Das kann zu cineastischer Großtat führen, zur Impression maximaler Ernsthaftigkeit. Oder aber einfach ermüden. Das gilt gerade für die "Paradies“-Trilogie: Zuerst das grandiose Exempel einer Liebe, die eine Wiener Touristin, ebenso einsam wie in reiferen Jahren, an den Stränden Kenias sucht: Margarethe Tiesel wurde für ihre Darstellung gerühmt. Der Kampf der Kulturen zwischen Wien und Mombasa wurde selten so prägnant auf den Punkt gebracht wie in diesem Film. Seine erste Näherung an die göttlichen Tugenden ist Seidl am besten gelungen.

Schon bei der Glaubens-Frage bleibt Seidl aber hinter seinen Möglichkeiten zurück. Die Obsession des Regisseurs, Religion nur in der Deformation, in der Fratze des (christlichen) Fundamentalismus wahrzunehmen, macht ihn angreifbar. Allerdings blieb Maria Hofstätters Schauspielleistung in "Paradies: Glaube“ unerreicht. Sieben Jahre hatte sich die Ausnahme-Mimin mit den Zumutungen des Seidl’schen Drehbuchs auseinandergesetzt, bis sie sich die Rolle zutraute. Dass Hofstätter heuer mit dem Großen Diagonale Schauspielpreis ausgezeichnet wird, ist da die adäquate Würdigung.

Dieser harmlose Abschluss

Nun also "Paradies: Hoffnung“. Auch hier stellt Sexualität die - man möchte fast sagen: typische - Seidl-Folie dar. Aber der letzte Teil der Trilogie ist fast harmlos geraten. Die ebenso erbärmlichen wie traurigen Exzesse der europäischen Touristinnen mit kenianischen Loverboys in "Paradies: Liebe“ berühren da viel mehr. Und auch die neurotischen Obsessionen der Protagonistin von "Paradies: Glaube“ sind nicht als Blasphemie (wie rechtskonservative Kritiker meinten) zu verstehen, sondern als irregeleitete Gottesbeziehung, die zumindest im Grund nicht als Möglichkeit bestritten wird.

In "Paradies: Hoffnung“ porträtiert Ulrich Seidl einen Teenager, der mitten im Ernst des Lebens angekommen ist: Weil sie übergewichtig ist, muss die 13-jährige Melanie in einem Diätcamp versuchen, ihre gesundheitsbedrohenden Kilos loszuwerden. Während sie das Leben gerade entdeckt - erste Zigaretten, erste Liebe etc. - muss sie sich gleich mit dessen Schattenseiten herumschlagen: Ernährungsberatung, Turnen und ein strenges Regiment, das die Youngsters doch noch auf den körperlich richtigen Weg bringen soll. Dabei verliebt sich Melanie in den um 40 Jahre älteren ärztlichen Leiter des Camps, der nicht gerade eine Zierde seiner Profession, sondern vielmehr einen Ritter von der traurigen Gestalt darstellt.

Solche zeitgenössische Paraphrase von "Frühlings Erwachen“ erweist sich einmal mehr als prekär: Diese Pubertät ist eine Entdeckungsreise in Abgründe, Vollrausch inklusive. Nichts, was einen oder eine irgendwie befreien würde. So weit, so gut, so typisch Seidl. Auch das Schauspiel der 13-jährigen Hauptdarstellerin Melanie Lenz, sowie von Joseph Lorenz, der den Arzt gibt, ist einmal mehr authentisch.

Die Botschaft: Paradies ist nicht.

Aber dies alles birgt - im Vergleich zu den anderen Filmen der Trilogie - kein zusätzliches Moment an Erkenntnis. Ja, auch die Mädels (Jungs spielen hier keine tragende Rolle) dieses Films können bezeugen, dass es mit der Liebe an sich nicht weit her und dass Beziehung durch und durch gebrochen ist. Aber eben dies macht uns Ulrich Seidl ja in all seinen Filmen weis.

Will dieser Filmemacher zum Schluss seiner "Paradies“-Sicht dem Publikum nur noch einmal einbläuen, dass das Elend und die Liebessehnsucht, deren sich auch einsame Touristinnenherzen am Strand Kenias befleißigen, schon von Kindesbeinen an da sind? Vielleicht schafft auch der Mut zur physischen Unansehnlichkeit eine der Klammern, mit denen Seidl die Gesellschaft seiner Wahrnehmung seziert.

Das Paradies ist nicht. So die - religiöse? - Botschaft der Trilogie. Auch die Hoffnung kann nicht errungen werden. Die Art der Darstellung berührt am wenigsten von den drei Teilen. Vielleicht ist das ja der ultimative Trick. Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei bleiben, liest man bei Paulus im Neuen Testament. Und: Am größten ist die Liebe. Auch in der Negation bestärken die drei Seidl-Filme genau diesen Befund.

Paradies: Hoffnung

A/D/F 2012. Regie: Ulrich Seidl. Mit Melanie Lenz, Joseph Lorenz. Stadtkino. 91 Min. Ab 15.3.

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