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Peter Sloterdijk widmet sich dem Treibhauseffekt der Globalisierung.

Im Jahre 1862 besucht der Schriftsteller Fjodor Dostojewskij die Londoner Weltausstellung. Die gläserne Ausstellungshalle, der von ihm so genannte "Kristallpalast", wird für ihn zum Inbegriff eines verabscheuungswürdigen Kapitalismus. In seinem neuesten Buch "Im Weltinnenraum des Kapitals" nimmt der Philosoph Peter Sloterdijk diesen Abscheu Dostojewskijs zum Ausgangspunkt aktueller Überlegungen zu Kapitalismus und Globalisierung. Der Kristallpalast wird zur Metapher für den Kapitalismus, in dem sich alles ökonomische Geschehen nur mehr im Innenraum, wie in einem Treibhaus, abspielt. Selbst der Kosmos hat sein Außen verloren.

Viele Bedeutungen

Doch wovon redet, wer das Wort "Globalisierung" verwendet? Den vielschichtigen Bedeutungsnuancen dieses Ausdrucks spürt Sloterdijk in bewährt sprachkünstlerisch-philosophischer Manier nach. Dabei teilt er den Prozess der Globalisierung in drei Phasen: die erste reicht von der Antike bis 1492 und ist geprägt vom metaphysischen Kosmos-Denken.

Mit dem Kolumbus-Jahr, mit dem die Entdeckung der Erde als Globus zu Wasser und zu Lande einsetzt, beginnt die zweite Phase, die "terrestrische Globalisierung". Sie endet 1945. Mit ihrem Abschluss ist die Geschichte, "der Mythos von der Geburt des Weltsystems", an ihr Ende gekommen.

Die dritte Phase, "elektronische Globalisierung" genannt, ist die, in der wir uns jetzt befinden. Medial, ökonomisch und verkehrstechnisch bewegen wir uns heute in einem einheitlich gewordenen "Weltsystem", in dem uns "die Globalisierung' durch ihre alten und neuen Medien permanent mitteilen läßt, daß sie geschieht und fortgeht, unter Mißachtung jeglicher Alternative".

Abenteurer, Seefahrer

In der Zeit der terrestrischen Globalisierung macht Sloterdijk seine Kritik an der Philosophie der Neuzeit fest, die, ganz im Gegensatz zur jeweiligen zeitgenössischen Literatur, nicht in der Lage war, den Prozess der Moderne adäquat auf den Begriff zu bringen. Die eigentlichen Ahnherren der Globalisierung sind Sloterdijk zufolge die Abenteurer, die Seefahrer und die Verbrecher. In diesen "Unternehmern" erblickt er wegweisende Charaktere einer Entwicklung der Subjektivität des westlich-europäischen Menschen, der Hauptträger und -nutznießer der Globalisierung geworden ist. Denn eines bleibt unmissverständlich: die "elektronische Globalisierung" ist ein Phänomen, von dem nur ein Bruchteil der Menschheit profitiert, während der überwiegende Rest davon nur die Schattenseiten eines "artifiziellen Kontinents im Weltmeer der Armut" zu spüren bekommt.

Das Neue in der Zeit

"Philosophie", bemerkt Gilles Deleuze, "ist schöpferisch oder sogar revolutionär, von Natur aus, da sie nicht aufhört, neue Begriffe zu schaffen". In diesem Sinne ist Peter Sloterdijk der Philosoph der Gegenwart, denn er formuliert Begriffe in einer Sprache, die das Neue unserer Zeit aufzuspüren sucht.

Darin ist auch ein spielerisches Moment enthalten, das Spiel eines Schriftstellers, der sämtliche Register der Schreibkunst beherrscht. Geht es ihm bei alldem doch um nicht weniger, als eine Theorie des gegenwärtigen Zeitalters zu entwerfen, wie bereits in seinem dreibändigen Sphären-Projekt, das inzwischen abgeschlossen vorliegt. Sloterdijks künstlerisch-künstliche Sprache, seine überschäumende Phantasie und das immense Wissen machen ihn zum derzeit spannendsten deutschsprachigen Philosophen, der die aktuellsten Probleme auf der Höhe der Zeit denkt und bedenkt. Am Ende seiner Überlegungen singt Sloterdijk ein Loblied auf das "Lokal", was nach dem 300-seitigen Ausflug ins Universale seltsam, doch wohltuend berührt.

In seinem Buch schreibt Peter Sloterdijk nicht nur die große Erzählung von der Postmoderne fort, sondern gewinnt dem Thema Globalisierung unterschiedlichste neue Facetten ab. Seine Gedanken sind anregend und im besten Sinne provozierend.

Für den, der sich der lohnenswerten Mühe unterzogen hat, sich einzulesen, ist die Lektüre vergnüglich und unterhaltsam auf höchstem Niveau.

Im Weltinnenraum des Kapitals

Für eine philosophische Theorie der Globalisierung

Von Peter Sloterdijk

Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2005

416 Seiten, geb., e 25,50

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