Mit viel Atmosphäre und einer grandiosen Hauptdarstellerin erzählt Emanuele Crialese die Verstrickungen einer ungestümen Frau mit den Konventionen ihres Dorfes.
Auf der sizilianischen Insel Lampedusa herrschen noch traditionelle, von Religion und sozialer Kontrolle geregelte Verhältnisse. Das Meer bestimmt das Leben. Die Kinder spielen am Strand und im Wasser, Fische, Krustentiere und Muscheln sorgen für das Einkommen. Emanuele Crialese fängt in "Lampedusa-Respiro" in sonnendurchtränkt greller Farbigkeit und irritierend schönen, traumhaften Unterwassersequenzen die spezielle Atmosphäre der Insel ein. Er bleibt nicht an der malerischen Oberfläche, sondern dringt ins Innere der verschworenen Gemeinschaft, der Innenhöfe, Wohnungen, versteckten Höhlen an der Felsküste vor. Hinter dem Idyll steckt eine rigorose soziale Ordnung, die jeden Regelverstoß streng registriert und ahndet. Vor allem Grazia (Valeria Golino) zieht durch ihr unberechenbares, impulsives Verhalten den Argwohn und uneingestandenen Neid aller auf sich. Valeria Golino unterscheidet sich mit ihren rätselhaften, stechend blauen, hellen Augen und den wilden Locken schon äußerlich von den anderen, sie ist die Idealverkörperung der psychisch labilen Mutter und Gattin. Spontan entführt sie ihre Söhne Pasquale (Francesco Casisa) und Filippo (Filippo Pucillo) auf der Vespa an den Strand. Wehendes Haar im Fahrtwind, blauer Himmel, weites Meer: ein Bild ungebändigten Glücks. Ohne nachzudenken, wirft sich Grazia "oben ohne" in die Fluten. Der frühreife, verantwortungsvolle Pasquale will sie vergeblich abhalten. Als ein Boot vorbeifährt, ist der Skandal perfekt. Fischer Pietro (Vincenzo Amato) muss seine freizügige Frau vor den anderen demütigen, um die Ordnung wieder herzustellen. Grazia schwankt zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt.
Grazias depressive Anfälle belasten die Familie. Der Druck der gestrengen Nonna (Emma Loffredo), die unangepasste Schwiegertochter in einer Mailänder Klinik zwangsbehandeln zu lassen, steigt. Pietro ist hin und her gerissen zwischen seiner Liebe und den Zwängen der Gesellschaft: nach außen patriarchalisch-gewalttätig, innen weich. Als Grazia ohne ihr Einverständnis nach Mailand gebracht werden soll, spitzt sich die Lage zu ...
Mit "Lampedusa" hat Emanuele Crialese ein filmisches Kleinod geschaffen - und bewiesen, dass das oft totgesagte italienische Kino höchst lebendig ist.
LAMPEDUSA - RESPIRO
I/F 2002. Regie/Drehbuch: Emanuele Crialese. Mit Valeria Golino, Vincenzo Amato, Francesco Casisa, Veronica D'Agostino. Verleih: Filmladen. 90 Min.