Im Zweifel gegen die Angeklagte

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Im russischen Rostow steht eine ukrainische Pilotin unter Anklage, zwei russische Journalisten ermordet zu haben. Das Verfahren wird zum Schauprozess, klagt der Anwalt der Soldatin.

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Im russischen Rostow steht eine ukrainische Pilotin unter Anklage, zwei russische Journalisten ermordet zu haben. Das Verfahren wird zum Schauprozess, klagt der Anwalt der Soldatin.

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Nadija Sawtschenko ist eine Frau mit deutlicher Tendenz zum Heldentum. Eine Frau, die an widrige Umstände und an einen rauen Umgangston gewöhnt ist. Sie war nach dem Irakkrieg mit einer ukrainischen Peacekeeping-Truppe im Irak die einzige Frau im Bataillon. Sie war lange die einzige Frau in der ukrainischen Armee, die mit Kampfbombern und Helikoptern fliegen konnte. Und sie war auch eine der ersten weiblichen Abgeordneten des neuen westlich orientierten Parlaments in Kiew. Aber all das hilft ihr nun nicht so sehr, wie es ihr schadet.

Denn sie war auch eine der ersten weiblichen Freiwilligen, die sich nach der Annektion der Krim durch russische Truppen zu einem ukrainischen Freiwilligenbataillon in der Ostukraine meldete. Dort wurde sie verhaftet, angeblich weil sie am 17. Juni 2014 den Raketenbeschuss einer Separatistenstellung angeordnet hatte, bei dem zwei russische Journalisten starben. Sie steht jetzt in Russland vor Gericht, wohin sie nach ihrer eigenen Darstellung entführt worden sein soll.

Doch alle Proteste gegen das Vorgehen der russischen Behörden helfen nichts. Sawtschenko steht wegen zweifachen Mordes vor Gericht. Das erwartete Urteil würde mehr als 15 Jahre Haft bedeuten, sollte es nicht zu einer diplomatischen Lösung kommen.

Und je mehr sie vor Gericht durch Hungerstreiks und unbotmäßiges Verhalten gegen die russischen Behörden auffällt, desto mehr wird sie zu Hause zu einer Heldin. Vergangene Woche demonstrierten mehr als tausend Ukrainer für ihre Freilassung und hätten beinahe auch die russische Botschaft in Kiew erstürmt, wären nicht Poliziekräfte eingeschritten. Zuletzt plädierten neben dem Europarat auch der Vizepräsident der USA, Joe Biden, für eine Freilassung der Pilotin.

Spielball der Mächte

Aber die ist längst zum Spielball der Mächte geworden. Ein Gesicht des noch immer in Scharmützeln und schweren Gefechten geführten Krieges, der sich um keine Waffenstillstands-Abkommen zu kümmern scheint. Immer wieder sterben Soldaten oder Separatisten in Scharmützeln entlang der Waffenstillstandslinie.

Sawtschenko ist den Russen so wichtig, dass sie selbst einem Austausch von russischen Soldaten, Alexander Alexandrow und Jewgeni Erofejew, die von den Ukrainern im Kampfgebiet festgenommen wurden nicht zustimmen wollten. Auch die Versuche Sewtschenkos, den Gefangenenaustausch durch Hungerstreiks zu forcieren, haben die Behörden ignoriert.

Tatsächlich war das Verfahren mit Merkwürdigkeiten gespickt. Zeugen der Verteidigung dürfen nicht aufgerufen werden, wegen angeblicher "Unglaubwürdigkeit". Zeugen der Anklage gegenüber zeigt man sich da wesentlich großzügiger.

So gab ein Chef der Separatisten, Igor Plotnitsky an, Sawtschenko am 23. Juni 2014 wieder freigelassen zu haben - und das im Wissen, welche ukrainische Nationalheldin ihm da in die Hände gefallen war und obwohl sie geständig gewesen sei.

Danach, so der Zeuge habe sie sich aus freien Stücken nach Russland abgesetzt und sei dort bei ihrem illegalen Grenzübertritt verhaftet worden. Doch damit nicht genug: Während des Prozesses gab ein Geheimdienstmann im Videoprotokoll Details über die angeblich kriminellen Machenschaften Sawtschenkos an.

Aus Sicherheitsgründen" tarnte sich den Mann effektvoll mit Perücke, Sonnenbrillen und dicker Schminke. Merkwürdigerweise nannte der Zeuge ohne Bedenken seinen vollen Namen. Nachforschungen ergaben, dass unter der Anschrift ein Mann selben Namens lebt, dessen Unterschrift aber in nichts der des verkleideten Zeugen im Prozess gleicht.

Der Anwalt der 34-jährigen Pilotin, Mark Feygin, spricht von einem Schauprozess. Feygin hat bereits Erfahrung damit, denn er verteidigte auch schon die Mitglieder der Punkgruppe Pussy Riot ohne Erfolg.

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