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Gefährlich und erotisch zugleich ist das Internet. Betrachtungen des Philosophen Rafael Capurro über ein antikes Liebespaar im neuen Medium.

Eines schönen Tages beim Internet-Surfen - nachher wusste er selbst nicht mehr so genau, wie er auf die Idee gekommen war - gab S. in einem Anfall von Verzweiflung kurz entschlossen seinen Namen in Google ein und wartete ab, was geschehen würde. Als er die Augen wieder öffnet, fand er seine düstersten Befürchtungen bestätigt: "Null Treffer" meldete Google. Nicht der kleinste Hinweis auf seine Existenz im ganzen World Wide Web. Überhaupt nichts! Es folgten Stunden tiefster Verzweiflung. Sollte S. Selbstmord begehen?

Ein typischer Anfall von "Googleritis", wie Journalisten diese Krankheit nennen. Was steckt dahinter? "Die Passion unserer Zeit heißt mediale Kommunikation", sagt Rafael Capurro, Professor für Informationswissenschaft und Informationsethik an der Fachhochschule Stuttgart. Wer dieser Passion nicht frönt oder aus irgendeinem Grund nicht frönen kann, wird krank, sprich: Wer nicht täglich seine Mail-Liste abarbeitet - oder besser: durch seine Sekretärin abarbeiten lässt - fühlt sich unnütz und leer.

Wer das Handy eingeschaltet mit sich herumträgt, aber nicht angerufen wird, ist unwichtig und wird nicht gebraucht. Dabei ist der Inhalt dessen, was kommuniziert wird, längst unwichtig geworden. "Wir leben in einer Zeit der leeren Engel'", zitiert Capurro Peter Sloterdijk: "Während sich die Botschafter vermehren, haben wir vergessen, welche Botschaft überhaupt gesendet werden soll."

Trotz dieser kritischen Töne ist Capurro, der auch Praktische Philosophie an der Universität Stuttgart lehrt, leidenschaftlicher Internet-Freak. Er verweist auf die großen Hoffnungen, die dieses Medium anfangs geweckt hat - trotz seiner zweifelhaften Abstammung von amerikanischen Militärs, die es 1969 im Zuge des Kalten Krieges erfanden. Das Internet sollte alle globalen und sozialen Schranken überwinden; es sollte endlich Information für alle liefern: direkt und ohne den Filter komplizierter Vermittlungsinstanzen; offen und frei zugänglich für eine weltweite Gemeinde, die dem Grundsatz "Freiheit, Gleichheit, Brüder- und Schwesterlichkeit" huldigt.

Als Wächter dieser Gemeinde fühlen sich die Hacker, laut Eigendefinition "enthusiastische Programmierer", deren Ethik auf dem eisernen Grundsatz beruht, dass Information ein globales Gut ist, an dem alle Anteil haben sollen.

Doch diese Passion der Hacker, deren Ethik mittlerweile Bücher füllt, ist keineswegs die einzige, die heute das Internet regiert. Liebe und Krieg haben sich im Netz der Informationstechnologie verfangen wie einst der Kriegsgott Ares und die Göttin der Liebe, Aphrodite. Beide waren in Leidenschaft zueinander entbrannt, doch Helios, die Sonne, machte Aphrodites Gatten Hephaistos, den Gott des Feuers und des Handwerks, auf die Liaison aufmerksam. Er knüpfte daraufhin ein unsichtbares Netz, in dem sich Ares und Aphrodite verfingen. Derart dingfest gemacht, präsentierte Hephaistos die beiden den anderen Unsterblichen, die sehr gelacht haben sollen.

Seitdem tobt sich Ares im Internet aus: In Form von Viren und Würmern, welche die Macht haben, die halbe Welt lahm legen zu können. Dazu kommt der Informationsmüll, der aus der Leidenschaft erwächst, ständig digital miteinander zu kommunizieren.

"Die Leute verlieren die Fähigkeit und die Freude selbst zu denken", sagt Capurro. Statt dessen bedienten sie sich der "copy-and-paste-Technik" (zu deutsch: Kopier- und Klebetechnik), sprich: Sie stückeln aus Artikeln verschiedener Autoren im Internet einen Beitrag zusammen und setzen ihren eigenen Namen darunter.

Am Ende kann niemand mehr überprüfen, was stimmt und was nicht, und dieselben Fehler tauchen in einer Endlosschleife immer wieder von Neuem auf. Unendliche Mengen von Pseudo-Jokes jagen rund um den Erdball, gefolgt von Petitionen und Schreckensmeldungen aller Art, die sich am Ende als Falschmeldung entpuppen. Infocalypse now. Derart mit Müll zugedeckt verliert sich der User einsam in den endlichen Weiten des World Wide Web.

Nur die Hoffnung, irgendwann im Chat doch einmal seiner Aphrodite zu begegnen - diese Hoffnung gibt ein passionierter Internet-Freak niemals auf. Und surft weiter durch den Cyberspace - für immer auf der Suche nach Aphrodites und Ares gemeinsamem Sohn: Eros.

AUSFÜHRLICHERES ZUM THEMA:

www.capurro.de/passions.html

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