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Vor 25 Jahren wurde in Österreich die TV-Serie "Holocaust" ausgestrahlt - der erste landesweite Geschichtsunterricht via Fernsehen.

Es war das Medienereignis von 1979: Wochen lang dominierte eine US-TV-Serie die öffentliche Diskussion in Österreich. Das profil hob das kontroversiell diskutierte Thema drei Mal hintereinander auf seine Titelseite. Die Rede ist von "Holocaust": Vor 25 Jahren erlebte die vierteilige Spielfilm-Serie seine Erstausstrahlung im österreichischen Fernsehen. Nicht nur der Begriff "Holocaust" war für die meisten der Zuseher neu und wurde von da an fester Bestandteil des allgemeinen Wortschatzes. Zum ersten Mal setzte sich eine breite Öffentlichkeit mit den Fakten über die Vernichtung der Juden selbst und die Frage nach der Verantwortung Österreichs auseinander: 3,5 Millionen - 61 Prozent der Österreicher - sahen zumindest eine Folge von "Holocaust".

Damals war die Ermordung der jüdischen Bevölkerung im kollektiven Gedächtnis der Österreicher noch eine Leerstelle. Aber auch die Zeitgeschichtsforschung beschäftigte sich lange Zeit vorwiegend mit Ideologie und Aufbau des Dritten Reichs, aber kaum mit der Frage der Endlösung. "Erst gegen Ende der siebziger Jahre stand man vor der Tür des Holocaust'", so der Wiener Zeithistoriker Gerhard Jagschitz. "Gleichzeitig stieg zu jener Zeit das Interesse für Zeitzeugen. Und genau in diese Situation kommt dieser Film."

Aufklärung durch Fiktion

"Holocaust" erzählte die Geschichte der jüdischen Familie Weiss und der deutschen "arischen" Familie Dorf. Während für erstere mit den Nürnberger Gesetzen der Weg des Leidens beginnt, macht Erik Dorf Karriere bei der SS. Diese Personalisierung des Holocaust auf ein Schicksal wurde bei den Diskussionen über die Serie immer wieder kritisiert. Doch schnell war den meisten bewusst, dass weder die Deutschen noch die Österreicher einen Film aus ästhetischen Gründen ablehnen konnten, den schon Millionen von Menschen auf der Welt gesehen hatten.

"Während die bloße Erzählung von Fakten, gar deren statistische Aufzählung, überhaupt nicht fähig gewesen war, die Vorstellungskraft zu beleben und zu belehren, hat Holocaust' das geleistet", verteidigte der Philosoph Günther Anders in seinem Buch "Besuch im Hades" die Serie. Auch der Meinungsforscher Peter Diem sieht in der Serie eine singuläre Leistung von Regisseur Marvin Chomsky, der bereits für die in den USA ähnlich diskutierte TV-Serie "Roots" über die schwarzen Sklaven verantwortlich gezeichnet hatte. Diem: "Natürlich war das Infotainment. Den Leuten wurde der Lebertran nicht pur verabreicht, sondern in Himbeersaft verrührt."

Telefone liefen heiß

Diem war damals als Medienforscher im ORF für eine Reihe von Erhebungen rund um die Ausstrahlung der Serie verantwortlich. Der Aufwand für diese Untersuchungen verdeutlicht noch einmal die Dimension dieses medialen Ereignisses: Die bestehenden fünf Kundendienstleitungen im ORF-Zentrum wurden eigens um weitere 31, zwölf davon in den Bundesländern, erweitert. Die Telefone blieben von 8 bis 24 Uhr besetzt, um die Wartezeiten für Spontananrufe zu verringern.

In den Medien des Landes fand ebenfalls eine heftige Debatte rund um "Holocaust" statt - auch die Furche beteiligte sich intensiv. Chefredakteur Hubert Feichtlbauer schrieb damals: "Holocaust' ist ein richtiger und notwendiger Film. Wenn Dokumente, Sachbücher und akademische Vorträge keine Wirkung erzielen, muss Hollywood einspringen." Doch nicht alle Kommentatoren waren der gleichen Ansicht. So konzedierte Thomas Chorherr in einem Presse-Leitartikel der Serie zwar eine positive Wirkung, sie sei aber "um des puren Geschäftes, jawohl um nichts als der Dollars wegen" hergestellt worden. Dennoch: Den "Holocaust"-Schock hatte Österreich bitter nötig.

Zeitzeugen-Boom

Waren es vor Ausstrahlung der Serie nur 44 Prozent, die eine Mitverantwortung Österreichs an der Auslöschung der Juden sahen, so stieg dieser Wert nachher auf 50 Prozent. Bei fünf Prozent der Bevölkerung konnte zumindest eine kurzfristige Einstellungsänderung festgestellt werden, so das Ergebnis der von Peter Diem geleiteten Untersuchungen. Vier Monate später war der positive Effekt nahezu nicht mehr nachzuweisen.

Viel wichtiger allerdings war, was nach "Holocaust" passierte. Das Interesse für Überlebende und deren erschütternden Berichte stieg enorm, auch die Zeitgeschichtsforschung erfreute sich erhöhter Aufmerksamkeit. "Holocaust' war ein großer Wurf, machte aber gleichzeitig die Grenzen von Geschichtsunterricht in Form eines Spielfilms deutlich", so das Resümee von Gerhard Jagschitz. "Eine differenzierte Aufarbeitung kann nur durch die Wissenschaft erfolgen." Die Waldheim-Debatte war bereits Ausdruck dieses neuen Geschichtsverständnisses. Mit ihr war der "Opfermythos" endgültig unhaltbar geworden.

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