Journalismus am Wendepunkt

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Österreichs Medienpolitik verschafft dem ORF neue Rahmenbedingungen. Zugleich geht es um Medienvielfalt. Die Entwicklung der Technik und die Krise der Wirtschaft begünstigen das Internet. Wo bleibt der Journalismus?

Wenige Tage vor der Enquete zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk am 17. September im Parlament lud die FURCHE zum Gespräch über Fernsehen, Zeitungen und Internet, über Qualitätsjournalismus und seinen Bestand. Die Gäste: Reinhard Christl leitet das Institut für Journalismus der Fachhochschule Wien und das auf drei Jahr angelegte Forschungsprojekt „Public Value“; Dieter Rappold ist Geschäftsführer der Internetplattform Knallgrau in Wien. Christl setzt auf öffentlich-rechtliche Sender, Rappold sieht auch die Zukunft des Qualitätsjournalismus in Netz.

Die Furche: Um beim ORF zu beginnen: Gibt es schon erste Ergebnisse Ihrer Studie zum Public Value?

Reinhard Christl: Das Ganze wird noch drei Jahre laufen. 2012 wird es ein Ergebnis geben in der Form, dass wir einen Kriterienkatalog haben: Was heißt Public Value, was heißt öffentlich-rechtlich, was soll dieses von privatem Fernsehen unterscheiden und brauchen wir das überhaupt noch? Ein erster Vergleich mit dem Ausland zeigt: Die Medienpolitik in Österreich hat es verabsäumt, Rahmenbedingungen für die Medienlandschaft des 21. Jahrhunderts zu schaffen. Wir haben zum Beispiel keinerlei wirklich vernünftige Rahmenbedingungen dafür, was der ORF künftig im Internet tun soll und darf. Das ist eine völlig offene Frage.

Die Furche: Hat es überhaupt einen Sinn, sich jetzt noch mit Public Value auseinanderzusetzen?

Christl: Public Value bedeutet vereinfacht gesagt nichts anderes als Qualitätsjournalismus. Dieser ist aus wirtschaftlicher Sicht ein meritorisches Gut, also ein Gut, das nicht in ausreichendem Maße von Privaten angeboten wird. Wie Bildung, wie Gesundheit. Deswegen ist der Staat gefordert einzugreifen. Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist eine Form, Presseförderung eine andere. Wir werden es in Zukunft noch mehr brauchen, weil die privaten Fernsehsender Qualitätsjournalismus nicht in ausreichendem Maße liefern, weil der Markt einfach nicht die Dotierung dafür zur Verfügung stellt.

Die Furche: Öffentlich-rechtlich meint die Eigentümerstruktur, im Wesentlichen geht es aber um die Erlösstruktur, sprich die Gebühr …

Christl: Genau, dass man Gebühren einhebt und nicht allein auf die Werbefinanzierung vertraut, weil man damit hochwertige Informationsprogramme nicht finanzieren kann, weil diese nicht die Seherzahlen, nicht die Quoten und damit nicht die Werbeerlöse generieren.

Die Furche: Die These, nur öffentlich-rechtliches TV-Medium biete Qualität, ist für einen Internet-Pionier eine Provokation, oder?

Dieter Rappold: Die Frage nach dem Qualitätsjournalismus wird oft auf das Trägermedium reduziert, und dem kann ich nicht folgen. Qualitätsjournalismus kann genauso auf einem Audiostream, einer Website, in Print oder im TV stattfinden. Qualitativer Journalismus ist per se nicht an eine Form des Ausgabeformats gebunden.

Christl: Dass nur Öffentlich-Rechtliche Qualität bieten, habe ich nicht behauptet. Aber in den Zeitungen funktionierte bisher die Finanzierung des Qualitätsjournalismus aus Anzeigen und Verkaufserlös – und das funktioniert im Internet noch nicht.

Rappold: Wir haben noch nicht den Königsweg und alles ausdifferenziert, wie wir in diesem neuen Medium, wo wir noch so viel zu lernen haben, alles refinanzieren werden. Wir sind in einer radikalen Umbruchsphase, noch kennen wir nicht die für alle funktionierenden neuen Finanzierungsmodelle.

Christl: Wir haben die Finanz- und Wirtschaftskrise und zum anderen das Internet, welches das Geschäftsmodell Qualitätszeitung, zumindest teilweise, zerstört hat. Ich hoffe, dass uns neue Geschäftsmodelle einfallen.

Rappold: Wir haben es mit einer radikalen Veränderung der Märkte zu tun. Das, was früher effizient abgebildet war in einer kleinen regionalen Tageszeitung, etwa die vielen Kleinanzeigen, das findet sich heute auf eBay oder auf einer Plattform wie Craigs List, einem Unternehmen, das mit 30 Mitarbeitern 100 Millionen Dollar Umsatz macht und profitabel ist. Ein anderes Beispiel ist die Musikindustrie: Bands in Brasilien verschenken die CDs, um über diesen Weg die Konzerte zu füllen, und die Umsätze werden über Konzerte und Merchandising erzielt.

Christl: Aber am Grundproblem, dass das alte Geschäftsmodell weg ist, wonach mit Anzeigen und Inseraten teilweise Auslandsberichterstattung und Innenpolitikberichterstattung quasi subventioniert wurde, kommen wir nicht vorbei. Entweder den Verlagen fällt eine Lösung ein oder man muss eine andere Finanzierungsform finden. Möglicherweise muss der Staat das in Form einer intelligenteren Presseförderung unterstützen. Oder es gibt wie in den USA Stiftungen für den Qualitätsjournalismus, die ihn möglich machen, wenn ihn der Markt nicht mehr finanziert.

Die Furche: Wie kann Förderung, wie können neue Modelle aussehen?

Rappold: Ein Modell ist spot.us in den USA. Dort können Reporter eine Geschichte pitchen (anbieten; Anm.) und sagen, dieses lokale Thema ist wichtig, das will ich recherchieren, das kostet 1100 Dollar. Menschen, die das gleich sehen, zahlen dafür 20 Dollar ein. Steht die Finanzierung, macht der Reporter seinen Artikel, verkauft ihn an Zeitungen, zahlt die Vorschüsse zurück. Das sind kreative, neue Modelle, wie Journalismus aussehen kann. Und es gibt die Huffington Post in den USA, das ist Qualitätsjournalismus online.

Christl: Ich habe hier einen Bericht an den US Kongress vor mir, der sich damit beschäftigt, wie man die amerikanische Zeitungsindustrie künftig staatlich finanziell unterstützen könnte – und das im Mutterland des Neoliberalismus. Zum Glück sind viele unserer Zeitungsverlage innovativer als so mancher amerikanische.

Rappold: Aber was sich auch hier überhaupt nicht verändert hat, sind die Haltung und das Verhältnis zum Leser. Es ist nach wie vor ein Verhältnis mit einem Niveauunterschied, hier die Zeitung, dort der Leser, und in der Zeitung wird doziert. Der Journalismus muss sich zu einem Gespräch, zu einem Austausch mit dem Leser entwickeln. Denn unter 100.000 Lesern von Artikeln im Internet findet sich 100, welche von der Sache mehr verstehen als der Journalist. Der Dialog mit diesen Leuten macht das Produkt noch besser.

Die Furche: Was bedeutet das für Zeitungen, für das Fernsehen?

Rappold: Die Frage des Ausgabemediums wird völlig überbewertet. Die Lösung liegt darin, sich den Markt anzusehen und zu erkennen, welche Medien von den Menschen genutzt werden. Der Markt hat dorthin zu folgen, wo die Nutzer sich hinbewegen. Wenn, ins Unreine gesprochen, 15 Prozent des Mediennutzungsbudget ins Internet fließen, dann sollten 15 Prozent unserer Kapazitäten für Qualitätsjournalismus ins Internet fließen und nicht weiterhin 70 Prozent ins Fernsehen, das ist widersinnig, ineffizient, unlogisch.

Die Furche: Und wohin fließen die Werbegelder?

Rappold: Der Werbekunde geht dorthin, wo das Publikum ist. In Österreich gingen 2008 etwa drei Prozent der Werbespendings in das Internet, aber ein Mediennutzungsbudget von über zehn Prozent. In Großbritannien flossen 30 Prozent der Werbeaufwendungen in den Online-Bereich. Österreich wird keine Insel der Seeligen bleiben. Wenn die Verlage keine intelligenten Produkte im Internet bieten, dann gehen die Werbegelder an Google, Youtube, Facebook, zu einer Plattform, die den Zugang zum Internet bietet.

Die Furche: Das Internet als wesentlicher Marktplatz, als Kampfarena der Medien, des Journalismus, in dem alles frei und möglich ist?

Christl: Das Internet klingt sehr schön nach großer Freiheit. Aber es sind unterschiedliche Interessen da, und es ist Aufgabe des Gesetzgebers, für den Wettbewerb und die Medien rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Auch für das Internet. Es soll jeder schreiben können, was er meint. Aber wichtiger ist eines: Wir brauchen den Qualitätsjournalismus, gesellschafts- und demokratiepolitisch. Einfach deswegen, damit wir rational begründete Wahlentscheidungen treffen können. Und nicht Wahlentscheidungen, die von Ressentiments und Slogans populistischer Politiker gesteuert sind. Wir haben in Österreich zu wenig Qualitätsjournalismus.

Rappold: Heute kann jeder mit einfachsten Mitteln weltweit publizieren. Ich kann mir irgendwo einen Webblog anlegen, einen Beitrag dort platzieren und potenziell weltweit das Publikum erreichen. Das ist wichtig und das würde ich in keiner Weise einschränken. Und die Qualität zeigt sich im Internet über die Reputation, über Verlinkungen. So gesehen gab es nie bessere Zeiten für Journalisten.

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