Medien Käfig - © Bild: iStock/Nerthuz (Bildbearbeitung: Rainer Messerklinger)

Journalismus in der Spektakeldemokratie

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Wie ist der Verlust von Vertrauen in die klassischen Medien zu erklären? Und was ist die Rolle von Journalist(inn)en? Das neue „Jahrbuch für Politik“ wie auch das „Jahrbuch für politische Beratung“ widmen sich u.a. diesen aktuellen Fragen.

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Wie ist der Verlust von Vertrauen in die klassischen Medien zu erklären? Und was ist die Rolle von Journalist(inn)en? Das neue „Jahrbuch für Politik“ wie auch das „Jahrbuch für politische Beratung“ widmen sich u.a. diesen aktuellen Fragen.

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Was hatte der österreichische Rechtsphilosoph und Publizist René Marcic vor Augen, als er 1955 in einem Essay in den Juristischen Blättern von den Medien als „Vierter Gewalt“ im Staate sprach? Wohl keinen politischen Aktivismus, ist Christian Ultsch, stellvertretender Chefredakteur der Presse, überzeugt. Denn: „Es ist nicht die Aufgabe von Journalisten, Politik zu machen. Das wäre dann ein anderer Beruf. Es reicht, die Wirklichkeit einzufangen und Politikern auf die Finger zu schauen – und gegebenenfalls zu klopfen.“

Das Vertrauen darauf, dass Journalistinnen und Journalisten genau diese Rolle des Wirklichkeits-Deuters bzw. Watch Dogs erfüllen, sinkt freilich dramatisch. Zugleich wächst der Verdacht, die „Mainstream-Medien“ hätten die Absicht, „die Politik in ungebührlicher Weise zu beeinflussen, unliebsame Phänomene systematisch auszublenden und das öffentliche Meinungsbild einseitig zu manipulieren.“ Publik gewordene Chat-Protokolle haben diesem Pauschal(vor)urteil weiter Nahrung gegeben. Und doch ist die Annahme, dies sei der Regelfall, eine groteske Verzerrung, so Ultsch im neuen „Österreichischen Jahrbuch für Politik“: „Von orchestrierten Versuchen, die öffentliche Meinung zu manipulieren, kann keine Rede sein. Bei Anschuldigungen dieser Art handelt es sich um Verschwörungstheorien. Es existieren keine journalistischen Geheimbünde, die die Weltherrschaft anstreben.“

Dass derlei anno 2023 – wenn auch lakonisch – festgestellt werden muss, zeigt die dramatische Vertrauenskrise traditioneller Medien. Mit Recht ist ihnen deshalb im aktuellen „Jahrbuch für Politik“, das seit 1977 von der Politischen Akademie der ÖVP herausgegeben wird (aber von weltanschaulich durchaus diversen Autor(inn)en befüllt wird), ein eigenes Kapitel gewidmet.

Unkultur der Verächtlichmachung

Wo liegt also das Problem? So absurd Verschwörungstheorien seien, meint Christian Ultsch, so sehr sei durch Empörungsmedien wie Twitter eine „Unkultur der Verächtlichmachung“ und in der Folge in den klassischen Medien eine „Tendenz zu einem publizistischen Herdentrieb und Konformitätszwang“ entstanden. Die Lust an der Debatte sei gesunken, die Angst vor Anfeindungen und Shitstorms gestiegen. Auf der Strecke bleibe das Ringen um Argumente und die Achtung vor der Meinung anderer. Ähnlich argumentiert auch die Chefredakteurin des Kurier, Martina Salomon: Diese Angst habe in der Politik „farblose Sprechpuppen“ entstehen lassen – und Populisten umso breiteren Raum eröffnet. Entgegen dem Eindruck der Chats sei die „Verhaberung“ zwischen Politik und Medien im Vergleich zu früher deutlich zurückgegangen.

Etwas anders die Stoßrichtung von Petra Stuiber vom Standard. Freunderlwirtschaft, Machtmissbrauch und Chataffären hätten das Vertrauen ausgehöhlt – und das Phänomen der Nachrichtenverweigerung weiter befeuert. Dazu käme eine (türkis-grüne) Medienpolitik, die nichts ernsthaft ändern wolle: Bis jetzt fehle ein Informationsfreiheitsgesetz, dazu komme die mutwillige Demontage der Wiener Zeitung, bei welcher der Staat als Eigentümer jahrelang die nötige Transformation verabsäumt habe. „Gleichzeitig sollen die kläglichen verbleibenden Reste der Redaktion eine Ausbildungsstätte für Journalisten aufbauen, die dem Bundeskanzleramt unterstellt ist“, kritisiert Stuiber. U. a. dagegen – wie auch gegen das Ende der Wiener Zeitung angesichts ohnehin überschaubarer Medienvielfalt – wurde Dienstag dieser Woche in Wien nochmals protestiert.

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