"Kann man sich Liebe abgewöhnen?"

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Mit dem Film "My Blueberry Nights" hat der hongkong-chinesische Regie-Star Wong Kar-Wai sein fernöstliches Œuvre verlassen und versucht sich - ganz und gar nach seiner Handschrift - in einem US-Roadmovie um Liebe und Sehnsucht.

Die Furche: Mister Wong, Sie haben Ihre Fans etwas überrascht: "My Blueberry Nights" hat ein Wong-Kar-Wai-unübliches Ende, nämlich ein Happy End.

Wong Kar-Wai: Überrascht? Ich finde ja, alle meine Filme haben ein Happy End. Die sind nicht immer so, wie man sie erwartet, aber ein Ende an sich birgt schon Positives, also auch meine Film-Enden. In "My Blueberry Nights" geht es um die Kunst des Abgewöhnens: Kann man sich eine Liebe abgewöhnen, wie man sich das Rauchen abgewöhnt? Wirkt sie wie eine Sucht, von der man sich nur mühsam befreien kann? Wie schafft man es, ein Kapitel abzuschließen und ein neues anzufangen? Wie unbelastet geht das?

Die Furche: In der Tat scheint jede der Figuren hier nach etwas süchtig zu sein, vor allem nach anderen Menschen. Das Verlieren (Müssen) von Liebe ist für Sie aber generell ein wiederkehrendes Thema. Warum nicht das Gewinnen?

Wong Kar-Wai: Wahrer Gewinn kommt für mich immer aus einem Verlust. Hier stehen alle Figuren vor einer Phase des Abgewöhnens, die über große Umwege führt - und in manchen Fällen auch nicht gelingt. Ein glücklicher Moment ist für mich der, wenn Jude Law in einer Szene auf seine Exfreundin trifft. Nicht, weil sie wieder zusammenkommen könnten, sondern weil sie auseinander gefunden haben. Sie sind glücklich damit, was aus ihnen geworden ist, sie bereuen nichts, und sie sind andere Menschen als damals. Die Wärme und das Verständnis in dieser kurzen Begegnung - das ist ein Happy End für mich, vor dem Ende des Films. Der Kuss am Ende dagegen ist so etwas wie ein "Happy Beginning" voller Risiko. Das kann gut gehen, aber auch nicht.

Die Furche: Zwischen all Ihren Filmen gibt es Verbindungen, Überschneidungen, vor allem was das Setting betrifft: Sie lieben Diners.

Wong Kar-Wai: Stimmt, ich lasse die Mehrzahl meiner Filme in Restaurants und Diners spielen, das scheint mir zu gefallen (lacht).

Die Furche: Was gefällt Ihnen daran so?

Wong Kar-Wai: Das sind die Orte, an denen sich das persönliche Leben immer mehr abspielt. An öffentlichen Orten, die dadurch an Intimität gewinnen. Heute leben wir nicht mehr in herkömmlichen "Gemeinschaften", die in sich geschlossen sind. Jeder sucht in seiner Individualität zwar Austausch und Kommunikation, aber will dabei jederzeit eine gewisse Fluchtmöglichkeit haben, vor Regeln und Verpflichtungen, mit denen man sich ohnehin herumschlagen muss. Das sind Orte von vergänglicher Intimität, was nicht heißt, dass diese Intimität nicht intensiv sein kann.

Die Furche: Ihre Charaktere sind in diesem Film expressiver als sonst.

Wong Kar-Wai: Das lag an der englischsprachigen Besetzung. Ich wollte ihnen nahe sein und sie zeigen, wie sie sind. Es gibt so viele Filme von westlichen Filmemachern über Chinesen, die sind sehr bizarr, unnatürlich. Das wollte ich umgekehrt unbedingt vermeiden.

Die Furche: Wäre diese Liebesgeschichte als chinesischer Film anders ausgegangen als dieser, Ihr erster US-amerikanischer?

Wong Kar-Wai: Dieser Film ist ja eher eine Hongkong-Independent-Produktion, die in den USA von einem Chinesen mit englischsprachigen Schauspielern gedreht wurde. Das Ergebnis zum Thema Liebe wäre sicher dasselbe, die Mittel sind verschiedene. Wenn man vor 20 Jahren in China zu jemandem sagte "Ich liebe dich", kam das einer taktlosen Beleidigung gleich. Angemessen waren simple Berührungen. Liebe war etwas, das auf keinen Fall ausgesprochen wurde. Liebe wurde verstanden, aber nicht besprochen. In einem "westlichen" Setting ist das natürlich anders.

Die Furche: Gibt es für Sie als Regisseur das von Ihnen so oft inszenierte Hongkong noch? Immerhin nannten Sie den Film "2046" einen Abschied von Ihren Hongkong-Filmen.

Wong Kar-Wai: Mit "2046" habe ich 2004 meine Trilogie über das Hongkong der sechziger Jahre beendet, die ich mit "Days of Being Wild" begann und mit "In the Mood for Love" weiterführte. Ich versuchte etwas festzuhalten, wiederaufleben zu lassen, weil Hongkong sich in den letzten Jahren so rapide verändert hat. Die Stadt verliert ihre Geschichte, und wir versuchten sie ihr zurück zu schenken. In "Blueberry Nights" versucht Elizabeth, mehr Zeit zu gewinnen, um ihre Entscheidung zu treffen. Obwohl sie auf einem Roadtrip ist, ist ihr Herz aber immer in New York. Für uns war es ähnlich: Wir drehten den Film außerhalb Hongkongs und nutzten diese Gelegenheit ebenfalls, um Zeit zu gewinnen.

Hongkong muss Zeit gewinnen, um die Veränderungen zu verarbeiten. Um zu einer neuen Identität zu finden. Hongkong verändert sich seit 1997 rasant, China generell. Hier überholen äußere Veränderungen die innere Kapazität, sich an diese Veränderungen anzupassen. Man hat dort das Gefühl: Moment, lasst uns etwas mehr Zeit gewinnen, um nachzukommen, um etwas daraus zu machen. Gebt uns etwas Abstand, um unsere Perspektive wieder in Relation zu setzen und zu einer neuen Interpretation Hongkongs zu finden.

Die Furche: Es wirkt auch hier, als hätten Sie die im Grunde schon fast zu Tode fotografierten USA neu gesehen.

Wong Kar-Wai: Vielleicht. Aber das geschieht nicht bewusst. Ich habe mich jedenfalls nicht gescheut, auf die Bilder, die wir alle von Amerika im Kopf haben, zu reagieren. In Memphis zum Beispiel musste ich oft an Tennessee Williams denken - und so ist dieser Teil der Geschichte auch eine Art Tennessee-Williams-Story geworden. In Nevada fühlte ich mich dann wie in einem John-Ford-Film, und ich glaube, das spürt man auch.

Die Furche: New York, Los Angeles, Memphis, Las Vegas - Stationen US-amerikanischer Kulturmythologie. Was symbolisieren sie für Sie?

Wong Kar-Wai: Zwischen New York und Kalifornien war es mir wichtig, Orte zu finden, die eine Vielfalt zeigen. Im Ton, in den Bildern. In den USA entsprechen gewisse Orte gewissen Aspekten amerikanischer Kultur. Auch wenn man einen kleinen Teil von etwas zeigt, ist es wichtig, das im Verständnis fürs Ganze zu tun. Der Ein- fluss der amerikanischen Popkultur ist eine kollektive Erfahrung, die wir doch alle gemacht haben. Die Hochbahnen, die Neonlichter, all das, was man aus meinen Filmen kennt, ist Teil einer gemeinsamen, überlieferten Erfahrung. "My Blueberry Nights" ist eine kleine Hommage darauf.

Die Furche: Können Sie sich vorstellen, öfter in den USA zu arbeiten?

Wong Kar-Wai: Der Hauptantrieb für mich ist nicht das Land und auch nicht die Sprache, sondern die Figuren und was sie antreibt. Das kann überall passieren. "Lady in Shanghai", den ich als nächstes machen werde, ist eine Geschichte, die in Russland passierte. Ich bin also nicht süchtig nach Amerika.

Die Furche: Wie kamen Sie auf die Idee, der Musikerin Norah Jones, die keinerlei Ambitionen in Richtung Kino hatte, die Hauptrolle anzuvertrauen?

Wong Kar-Wai: Ich erinnere mich sehr genau an den Moment. Es ist Jahre her, ich war in Taipeh, der Abend kam, die Straße war von Autos verstopft. Und auf einmal war diese Stimme im Radio, es war Norah Jones, und sie hat mich sofort berührt. Es war eine Kino-Stimme, eine Stimme, die in dir Bilder hervorruft. Das reichte mir.

Die Furche: Wie haben Sie Ihr eigenes Bild von sich, Ihr "Image", die wuchtige Sonnenbrille, gefunden?

Wong Kar-Wai: Durch Zufall. In Hongkong habe ich manchmal 24 oder 48 Stunden nonstop gedreht, da musste ich meine Augen schützen. Heute ist diese Brille wie eine Uniform: Sie zeigt an, dass ich zur Arbeit gehe. Brillenlos kennen mich nur meine Frau und meine Kinder.

Das Gespräch führte Alexandra Zawia.

Liebe, Freude, Heidelbeerkuchen

Am Anfang war der Heidelbeerkuchen: In ein Café im abgelebten New Yorker Vergnügungsviertel Coney Island verschlägt es Elizabeth, liebeskrank, das Ende einer Beziehung erleidend und mit einer Blueberry Pie samt dem verständnisvollen Ohr von Cafetier Jeremy ein wenig der Verstörung entkommend. Oder doch nicht: In Wong Kar-Wais neuem Film "My Blueberry Nights", seinem ersten englischsprachigen Opus, geht nichts auf die schnelle Tour: "Die Geschichte einer Frau, die den langen statt den kurzen Weg nimmt, um bei dem Mann anzukommen, den sie liebt", so des Regisseurs eigene Charakteristik.

Auf ein US-Roadmovie hat sich Hongkongs Regiestar bei diesem US-(Film-)Trip versteift - er ist nicht der erste Fremde (man denke an Wim Wenders!), der sich darauf einlässt. Und es ist ein Film um einen Kuss, "den" Kuss zwischen Jeremy und Elizabeth, dem die Protagonistin nicht vertraut und schließlich einen ganzen Film lang nachläuft. Elizabeth verschlägt es durch die ganze Bilderweite der USA, sie trifft auf einen Polizisten im Liebeskummer und dessen von ihm getrennte Frau, oder sie schlägt sich mit einer Spielerin herum - bis sie erkennt, dass Einsamkeit, Leere und übergroße Sehnsucht anderswo noch drängender sind als in ihrer eigenen Existenz. Die prototypischen Orte (und Klischees!) für solche Erfahrung - New York, Memphis, Las Vegas, die Wüste von Nevada - fährt der Film ab.

Mit der Rolle der Elizabeth hat Wong Kar-Wai der Sängerin Norah Jones den ersten Filmauftritt verschafft, sie steuert zum beeindruckenden Soundtrack auch den eigenen Song "The Story" bei. Den gefundenen/hinter sich gelassenen/ersehnten Jeremy gibt Jude Law - exzeptionell.

Der 49-jährige Wong Kar-Wai hat mit "My Blueberry Nights" sein chinesisches Œuvre verlassen, das er zuletzt (2004) mit dem SciFi-Drama "2046" so gekonnt weiterentwickelt hat, und in dem mit ihm die Schauspieler Maggie Cheung (seit "As Tears Go By", 1988) und Tony Leung (ab "Days of Being Wild", 1990) zu Stars des Weltkinos heranwuchsen. "My Blueberry Nights" erweist sich dem gegenüber als Neuland, das der Weiterentwicklung bedarf. Man kann sich aber jedenfalls auf einen Kuss einrichten, der in die Filmgeschichte eingehen könnte. Otto Friedrich

MY BLUEBERRY NIGHTS.

HK/China/F 2007. Regie: Wong Kar-Wai. Mit Norah Jones, Jude Law, Natalie Portman, Rachel Weisz, David Strathairn. Verleih: Polyfilm. 111 Min.

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