Kein Satellit ist mehr sicher

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Der Weltraumvertrag ist 40 Jahre alt und zur Begrenzung der heutigen Aufrüstung im All unzureichend. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: ein neuer Vertrag oder ein neues Wettrüsten?

Wir sind ja nicht einmal in der Lage, eine Kartoffel ins All zu schießen", klagte Mao im Jahr 1957. Genau 50 Jahre später haben die Chinesen diesen maoistischen Erdäpfel-Auftrag mehr als erfüllt: Zum einen bieten Restaurants in Schanghai neuerdings besonders geschmacksintensive lilafarbene Kartoffeln an, die im chinesischen Raumschiff "Shenzou VI" gezogen werden. Zum anderen hat China mit dem letztmonatigen Abschuss eines eigenen veralteten Wettersatelliten in 870 Kilometer Höhe noch ein ganz anderes Stärke-Zeichen setzen können.

"Natürlich ist die Situation im All dadurch bedrohlicher geworden", sagt Götz Neuneck , Raketenabwehrspezialist am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Uni Hamburg: "Kein fremder Satellit kann von nun an mehr über chinesischem Territorium sicher sein." Neuneck zeigt sich im Gespräch mit der Furche überrascht darüber, dass gerade die Chinesen diesen aggressiven Schritt gesetzt haben, "weil sich gerade sie doch seit Jahren für eine friedliche Nutzung des Weltraums eingesetzt und die Rüstungs-Kontroll-Rhetorik draufgehabt haben".

China-Schuss vor US-Bug

Zu dieser "Rüstungs-Kontroll-Rhetorik ist China auch postwendend nach dem Abschuss des alten Wettersatelliten "Feng Yun", übersetzt "Wind und Wolken", zurückgekehrt: "China hat sich niemals an einem Wettrüsten im All beteiligt und wird sich niemals daran beteiligen", verkündete der Sprecher des chinesischen Außenministeriums. Im Gegenteil, China wolle sich weiterhin für das Zustandekommen eines internationalen Vertrags gegen das Wettrüsten im Weltall einsetzen. China und Russland haben in der Vergangenheit tatsächlich schon öfters entsprechende Verhandlungen vorgeschlagen, was jedoch stets auf den Widerstand der Vereinigten Staaten gestoßen ist. Nach diesem "chinesischen Schuss vor den amerikanischen Bug", sieht Raketenabwehrspezialist Bernd W. Kubbig, jedoch die Kräfte in der US-Sicherheitspolitik gestärkt, "die verhandeln wollen" (siehe Interview Seite 3).

Dabei müssten die Amerikaner aber über einen großen Schatten springen: Nachdem sie bereits 2002 einseitig den ABM-Vertrag zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen gegenüber Russland gekündigt haben, hat George W. Bush im vergangenen Oktober die US-Hegemonie im Weltall zur offiziellen Doktrin seines Landes erhoben. Mit seiner nationalen Weltraumpolitik (national space policy) beansprucht die USA volle Handlungsfreiheit im Weltall, "die für die Vereinigten Staaten genauso wichtig ist wie die Macht in der Luft und zur See". Die offizielle US-Weltraumpolitik will "andere davon abbringen oder abschrecken" die Ausübung der amerikanischen Rechte im Weltraum zu stören oder auch nur Technologien zu diesem Zweck zu entwickeln. Deswegen werden die USA "die notwendigen Schritte unternehmen, um ihre Raumfahrtkapazitäten zu schützen; sie werden auf Einmischung reagieren und sie werden, falls nötig, Gegnern die Nutzung von Raumfahrtkapazitäten verweigern, wenn diese den nationalen Interessen der USA entgegengerichtet ist".

"Pearl Harbor im Weltall"

Dabei fasst diese amerikanische "national space policy" nur das in Worte, was schon seit langem Faktum ist: Die USA sind die Herren im den Menschen zugänglichen Weltall. Mehr als die Hälfte aller Satelliten (443 von 845) fliegen mit "Stars and Stripes"-Emblem. Kein Vergleich zu den Chinesen, die nur vier Prozent aller Erdumsegler mit goldenen Sternen und Ähren und viel roter Farbe anmalen dürfen.

Die amerikanische Dominanz im All macht die USA aber zugleich ungemein verwundbar: Kein anderes Verteidigungssystem eines Landes verlässt sich so stark auf weltraumgestützte Informationen; völlig zurecht bezeichnen sich die die Amerikaner deswegen selbst "als attraktiven Kandidaten für ein Pearl Harbor im Weltall" - eine Anlehnung an den japanischen Überfall auf den US-Hafen 1941, der die USA zum Eintritt in den Zweiten Weltkrieg veranlasst hat. Für Laura Grego von der amerikanischen Wissenschaftsorganisation "Union of Concerned Scientists" steht fest: "Die Vereinigten Staaten werden die großen Verlierer sein, wenn wir mit Weltraumwaffen so weitermachen."

Eigentlich hätte es mit Weltraumwaffen nie beginnen dürfen: Der vor 40 Jahren ratifizierte Weltraumvertrag (Outer Space Treaty) und alle folgenden Verträge gewähren eine weitgehende Freiheit der Forschung und wirtschaftlichen Nutzung des Weltalls, verpflichten die Vertragsstaaten aber gleichermaßen zur ausschließlich friedlichen Nutzung des Alls. Ausdrücklich verboten ist es, Massenvernichtungswaffen und ihre Trägermittel im All zu stationieren. Doch der Weltraumvertrag ist ein Kind des Kalten Krieges und seine Stärke ist seine Schwäche: Die Stationierung moderner Kampfmittel, angefangen von Radiowellen-Energiewaffen über andere Laser bis hin zu Killer-Satelliten und Weltraumbombern, wird vom Weltraumvertrag nicht explizit verboten.

Trojanisches Weltraumpferd

Zu einem weitergehenden Vertrag, der die Stationierung aller Waffensysteme im Weltraum verbietet, konnte sich die Genfer Abrüstungskonferenz bislang nicht durchringen. Obwohl die Vertreter von Russland und China im Sommer letzten Jahres warnten: "Die Errungenschaften aller Länder im Weltraum würden gefährdet - eine friedliche Nutzung des Kosmos wäre unterminiert." Die Replik der USA darauf war eindeutig: Der Weltraumvertrag sei völlig ausreichend und solange eigene Satelliten potenziell bedroht sind, werde Washington nicht auf Weltraumwaffen verzichten.

Und auf der Erde baut die USA an ihrem Raketenabwehrsystem weiter, das China und Russland unisono als "trojanisches Pferd für Weltraumwaffen" bezeichnen. Mit der amerikanischen Anfrage, ob nicht Polen und Tschechien den Bau von Raketenschächten beziehungsweise Radarstationen auf ihrem Territorium zustimmen könnten, ist diese Diskussion auch nach Europa geschwappt. Offiziell heißt es, wären diese Anlagen ja nicht gegen Russland, sondern gegen Angriffe aus Nordkorea oder den Iran gerichtet; warum aber dann nicht in Südeuropa oder der Türkei angefragt wurde, bleibt unklar. Wie auch immer: Die US-Weltraumpolitik ist teuer und gefährlich. "Der sichere und billigere Weg", sagt Götz Neuneck, "wäre ein Zusatzvertrag zum Weltraumvertrag."

Satelliten im All

Mit seinem Satellitenabschuss rund 870 Kilometer über der Erde hat China bewiesen, mehr als 300 Satelliten, die sich bis in diese Höhe im Weltall befinden, zerstören zu können.

Laut Europäischer Weltraumorganisation ESA wurden seit Beginn des Raumfahrtzeitalters vor gut 50 Jahren rund 5500 Satelliten in die Erdumlaufbahn geschossen - 845 davon gelten noch als funktionstüchtig, der Rest ist abgestürzt und verglüht oder rast als "Weltraumschrott" um die Erde.

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