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In wenigen Jahren wird auch das Kino völlig - Dreh, Schnitt, Projektion - digital sein. Die Filmbranche wird sich dadurch gewaltig verändern - aber nicht nur zu ihrem Vorteil.

Die Vision einer nicht allzuweit enfernten Zukunft: Ein Filmregisseur dreht seinen Spielfilm mit einer digitalen Videokamera, das Material wird digital nachbearbeitet und geschnitten, ein Datendienst speichert den fertigen Film auf einer Festplatte und schickt ihn digital via Satellit an die Kinos, die ihn mittels digitaler Projektoren an die Leinwand werfen.

So stellt sich die Filmindustrie das digitale Kino der Zukunft vor. Prinzipiell ist das bereits heute machbar, doch die Filmleute haben hohe Ansprüche: Die neueste, hochauflösende Technologie muss es sein, die in Hinkunft den guten, alten 35 mm-Kinofilm ablösen soll. Schließlich soll der Durchschnitts-Kinogänger von all dem nichts merken.

Im Unterschied zum Filmmaterial, das seit 100 Jahren prinzipiell unverändert blieb, haben digitale Technologien eine recht kurze Halbwertszeit. Jeder, der eine Videokamera besitzt, die einige Jahre alt ist, weiß, dass sein Gerät als veraltet und überholt gilt.

120 Projektoren - weltweit

Nicht anders ist es da im Profi-Bereich: Jedes Jahr werden neue Rekorde aufgestellt, was Auflösung, Bildschärfe oder Projektionsgröße anbelangt. Allgemein einig ist man sich, dass das digitale Kino dem 35mm-Film zunächst ebenbürtig sein muss, um seine unbestrittene Qualität später gar zu übertreffen. Elektronik-Riese Sony hat sich hier als einer der Pioniere erwiesen. Mit seinem High Definition-System (HD, steht für "Hohe Auflösung") für Aufnahme und Bearbeitung von Filmen gab der Konzern vor drei Jahren den Startschuss für das digitale Kino. "Der Vorteil des Systems liegt darin, dass es keine mechanischen Verschleißerscheinungen wie beim Film gibt: Der Film kann auch nach Jahren noch so abgespielt werden, als wäre er neu und ohne Kratzer", sagt Franz Wagner von Sony Professional Österreich. Wagner ist überzeugt, dass in Zukunft die gesamte Industrie auf elektronischer Basis arbeiten wird.

Am anderen Ende der Kette steht die digitale Projektion von Filmen in Kinosälen. Bisher mussten digital gedrehte Filme auf Filmmaterial umkopiert werden, da in fast allen Kinos nach wie vor der 35mm-Standard gilt. In Zukunft werden Firmen wie Texas Instruments, Barco, aber auch Filmhersteller Kodak Projektoren herstellen, die sogar riesige Kinoleinwände in einer noch nie gesehenen Bildbrillanz erleuchten sollen.

Zur Zeit gibt es weltweit rund 120 Kinos mit digitaler Projektionstechnik, Anfang 2002 waren es gerade 40. Ein digitaler Projektor steht auch in Wien, nämlich im UCI Millennium City. Dort, so berichtet Marketing-Sprecherin Ursula Sibral, sei man "hochzufrieden mit dem Gerät. Im deutschsprachigen Raum gibt es erst drei solcher Projektoren". Filme, die normalerweise als zentnerschwere Kopie angeliefert werden, passen nunmehr auf vier schlanke, DVD-ähnliche Scheiben, und können in mehreren Sprachfassungen - auch ähnlich der DVD - vorgeführt werden. Die Qualität soll an die 35mm-Projektion schon herankommen.

Scheu vor neuer Technik

Eine Studie der Filmförderungsanstalt in Berlin prophezeit, dass künftig nicht nur von Silberscheiben projiziert wird, sondern dass die Daten via Satellit oder Breitbandkabel ins Kino geschickt werden. Das digitale Kino - es wird von der ersten bis zur letzten Sekunde eine abstrakte Datenmenge sein, die durchs All flitzt.

Mit Wehmut blicken viele schon jetzt auf die gute alte Zeit des Kinos zurück, obwohl diese noch gar nicht vorbei ist. Vor allem Filmemacher und Produzenten hätten besondere Scheu vor den neuen Techniken, wie Naturfilmer Kurt Mündl berichtet. "Man sträubt sich dagegen, weil man von Film als Kunstform überzeugt ist und Video ein schlechtes Image hat". Mündl, der zahlreiche ORF-Dokus für Universum drehte und auch für den US-Sender Discovery Channel arbeitet, war ein High Definition-Pionier: Er realisierte den weltweit ersten HD-Film für ein IMAX-Kino. Inhalt: Die Ursprünge Österreichs. "Time Flashes in Blue-Yellow" lief mit Erfolg im Wiener IMAX-Kino, über 20.000 Besucher wurden gezählt. "Viele Produzenten haben Filmkameras um teures Geld gekauft, die sich jahrelang halten und niemals out' sind. Sie wollen daher nicht umsteigen auf eine Technik, die sich noch verändern kann", sagt Mündl. "Aber früher oder später wird der Umstieg kommen".

Das Zünglein an der Waage bei diesem Umstieg sind letztlich die Kinobetreiber. Denn während ein Filmproduzent eine digitale Kamera (ab 75.000 Euro) samt Schnittplatz auch projektweise anmieten kann, müssen die Kinos allesamt umgerüstet werden: Die alten 35mm-Projektoren müssten teuren Digi-Projektoren weichen. Derzeitige Kosten für einen solches Gerät: zwischen 150.000 und 200.000 Euro. Zum Vergleich: Neue 35mm-Projektoren sind schon ab 30.000 Euro zu haben. Man stelle sich vor, was ein Kinobetreiber investieren muss, wenn sein Kino 10 Säle hat; noch dazu in eine Technik, deren Standards sich alle paar Jahre ändern. Weltweit gibt es derzeit 108.000 Kinoleinwände, nach Berechnungen von Credit Suisse müssten die Kosten für digitale Projektoren unter 50.000 Euro sinken, um eine maßgebliche Verbreitung zu erreichen.

Billige Filme, Film-Piraten

"Auch die Verleiher werden ein Wörtchen mitreden: Wenn sie sich die Anfertigung von hunderten teuren Filmkopien ersparen wollen, werden sie eine Lösung mit den Kinobetreibern finden müssen, was die Nachrüstung betrifft", meint auch Franz Wagner von Sony. Im Grunde erspart sich die Filmindustrie mit der digitalen Technik eine Menge Geld, denn allein die Filmkosten verschlangen bislang große Summen. Die Studie der Berliner Filmförderungsanstalt: "Jährlich geben die Filmverleiher bis zu einer Milliarde Euro für Filmkopien aus."

Eine weitere Gefahr, vor der die Filmindustrie noch viel größere Angst hat: Da Videopiraterie durchs Internet mittlerweile unkontrollierbare Ausmaße angenommen hat, fürchtet man beim digitalen Kino eine Eskalation. Denn die via Satellit oder auf Silberscheibe angelieferten Filme seien eine leichte Beute für Raubkopisten. Daher soll der Vertrieb von Kinofilmen im digitalen Zeitalter strengstens überwacht werden: Verschlüsselungsprogramme und eine neue zwischengeschaltete Instanz sollen für Sicherheit sorgen. Die so genannten Play-Out-Service Center sollen die korrekte und sichere Überspielung von Filmdaten auf ihrem Weg von Verleihern zu Kinobetreibern sicherstellen.

Jobs kommen und gehen

Klingt ganz danach, als würde das digitale Kino auch eine Reihe neuer Jobs bringen. Stimmt zwar, jedoch mit anderen Berufsbildern, wie die Studie der Berliner Filmförderungsanstalt prognostiziert: Gebraucht werden Software- und Hardwareentwickler, IT-Spezialisten in den Kinos und zuverlässige Systemadministratoren, die den Betrieb in Schuss halten. Nicht auszudenken, die Satellitenleitung würde während einer Vorführung zusammenbrechen.

Doch es gibt auch Opfer: Betroffen von der Digitalisierung sind vor allem Filmhersteller, Filmlabors, Kopierwerke und Filmkurierdienste, aber auch Filmarchive, Verleiher, Kinoausrüster und nicht zuletzt Filmvorführer. Die Ware Film wird sich von einer konkreten zu einer abstrakten Form entwickeln, und mit ihr die ganze Industrie. Eine Branche im totalen Umbruch.

Alfred Gelbmann, Geschäftsführer des Wiener IMAX-Kinos, ist ebenso bereits im Besitz eines Digi-Projektors und konnte so Kurt Mündls digitalen IMAX-Film "Time Flashes in Blue-Yellow" ein würdiges "Large Format"-Ambiente bieten: "Die Entwicklung lässt sich nicht aufhalten. Zunächst setzt sich die Technik bei großen Konzernen durch - BMW oder Mercedes drehen ihre Spots nur mehr in High Definition und führen sie in eigens errichteten Häusern vor - danach kommen die Kinos." Gelbmann, der 2004 einen weiteren HD-Film in Auftrag geben will, plant für 2005 auch die Errichtung eines neuen Kinos, das Filme nur mehr digital zeigen wird. Mit einem Ende des analogen Films rechnet Gelbmann nicht so schnell: "Solange die Industrie ihre Blockaden der neuen Technik nicht aufgibt, wird es 35mm-Film geben. Da spielen natürlich große Lobbys im Hintergrund mit". Dennoch: "Film wird so verschwinden, wie dereinst die Langspielplatte. Vielleicht dauert es etwas länger". Ein Zeitraum von 10 Jahren sei realistisch.

"Fünf bis zehn Jahre wird es dauern", finden auch Ursula Sibral von UCI, Naturfilmer Kurt Mündl und Sony-Mann Franz Wagner. "Der Film wird nicht ganz verschwinden, sondern beide Techniken werden sich ergänzen", meint Wagner. Dabei will Sony nächstes Jahr eine neue Kamera auf den Markt bringen, die das bisherige Top-Modell qualitativ haushoch übertreffen soll. Filmemacher George Lucas dreht damit gerade seinen neuen Star Wars-Film "Episode III". Die Kamerahersteller Arri, JVC oder Olympus arbeiten ebenfalls an neuen Kameras.

Multimediales Kino

Am Ende dieser Entwicklung könnte für den Kinobesucher ein völlig neues Erlebnis stehen: Nicht nur Filme, sondern auch große Events wie Rockkonzerte könnten künftig live (und in Überlebensgröße) in sämtliche Kinosäle übertragen werden, interaktive Applikationen könnten ein "Eingreifen" in die Filmhandlung ermöglichen, ein Kinobesuch würde so zum multimedialen Erlebnis. Und was wäre erst ein verfilmtes Computerspiel, das live und gleichzeitig auf der ganzen Welt in Kinosälen gespielt werden kann? Das Kino wird immer mehr zum Veranstaltungszentrum, der Kinobetreiber wird Eventmanager.

Alles eitel Wonne? Mitnichten. Diese sich ankündigende Event-Kultur gefährdet kleinere Initiativen: Obwohl das unabhängige, staatliche geförderte Kunstkino in den neuen Spielstätten regionalere Blüten treiben wird können, so sind vor allem die heutigen Abspielstätten der Filmkunst in Gefahr. Kleinere Kinos können sich eine Digital-Umstellung kaum leisten und müssten vielleicht schließen. Für Europas Filmschaffen hätte dies eine endgültige Amerikanisierung zur Folge.

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